Mai 2002: Der 101. Todeskandidat mußte freigelassen werden
16.01.03 (von jh/ivk) Zur Erinnerung anläßlich der Begnadigung von 167 Todestrakt-Gefangenen im US-Bundesstaat Illinois
Freedom Now! Online Bulletin Nr. 14/1. Januar 2003
Aus junge Welt vom 13. Mai 2002
Nach Illinois nun auch Todesstrafen-Moratorium in Maryland
Der »Henker in Richterrobe« Albert Sabo verstorben
Wenn US-Präsident George W. Bush nächste Woche (22./23. Mai 2002) Berlin besucht, wird einer der Anlässe zu den vielfältigen Protesten die Todesstrafe sein, die er schon als Gouverneur von Texas hat gnadenlos vollstrecken lassen. Als Präsident hat er zwar unmittelbar mit der Verhängung und Vollstreckung nichts mehr zu tun, er steht aber wie ein Symbol für die Todesstrafe in der politischen Landschaft. Es ist zu hoffen, daß die deutschen Parlamentarier, die mit ihm Kontakt haben werden, ihn auf die Tatsache ansprechen, daß der hohen Zahl von über 3.700 Gefangenen in den Todestrakten der USA die hohe Ablehnung entspricht, die seit vielen Jahren weltweit gegen die US-amerikanische Todesstrafenpraxis lauthals geäußert wird.
Auch eine andere Zahl wird man Bush entgegenhalten können: In den USA werden nicht nur die Hinrichtungen statistisch erfaßt, sondern auch die Zahl derjenigen, die seit 1976, als die Todesstrafe nach vierjähriger Suspendierung wieder eingefürt wurde, dem Henker gerade noch einmal von der Todespritsche oder dem elektrischen Stuhl gesprungen sind. Diese Zahl hat jetzt eine Schallmauer durchbrochen, als im vergangenen April Ray Krone aus York County, Pennsylvania, als 100. Todeskandidat freigelassen werden mußte. Seit 1991 befand er sich in Arizona wegen eines Mordes im Todestrakt, den er nicht begangen haben kann, wie ein kürzlich durchgeführter DNA-Test bewiesen hat. Und vorletzten Freitag wurde als Nr. 101 der unschuldig zum Tode Verurteilten Thomas H. Kimbell jr. aus einer Todeszelle in Pennsylvania entlassen. Kinbell war 1998 verurteilt worden, vier Menschen aus seiner Nachbarschaft umgebracht zu haben, wurde aber im Berufungsverfahren von der Jury einstimmig freigesprochen, nachdem wesentliche Beweise, die aus dem ersten Prozeß herausgehalten worden waren, die Geschworenen von seiner Unschuld überzeugten. Kimbell hat genau wie Krone immer seine Unschuld beteuert.
Kimbell ist der vierte Gefangene, der im Bundesstaat Pennsylvania seit 1978 wegen erwiesener Unschuld freigelassen werden mußte. Ein weiterer Gefangener aus Pennsylvania, der spätestens seit dem letzten Jahr hätte freigelassen werden müssen, ist Mumia Abu-Jamal. Doch nach wie vor weigert sich die Justiz, den geständigen Berufskiller Arnold Beverly auch nur zu vernehmen. Beverly hat Abu-Jamals Beteuerung, den Polizisten Daniel Faulkner nicht erschossen zu haben, längst bestätigt und will sich der Justiz stellen. Aber die Justiz in Pennsylvania macht in diesen Wochen in Abu-Jamals Fall nicht durch konsequente Anwednung der Gesetze und Gerechtigkeit von sich reden, sondern nur dadaurch, daß ihr getreuester Verfechter des staatlichen Mordens eines natürlich Todes gestorben ist. Der 81-jährige Richter Albert Sabo, der nicht nur 1982 für das politische Todesurteil gegen Abu-Jamal verantwortlich ist sondern als aus dem Ruhestand geholter Senior Judge auch 1995 das Wiederaufnahmeverfahren in bekannter Manier in erster Instanz ablehnte, ist am vergangenen Mittwoch in Philadelphia in einem Hospital einem Herzversagen erlegen. Grund genug für die örtlichen Medien, in seinem Nachruf daran zu erinnern, daß Sabo, der 1974 in das Richteramt gewählt wurde, nachdem er zuvor in Philadelphia 16 Jahre als Undersheriff tätig war, nicht nur »ein harter Richter«" war, sondern auch ein berüchtigter Jurist mit den meisten Todesurteilen aller mit Kapitalverbrechen befaßten Richter in ganz Pennsylvania. Jedes sechste Todesurteil stammte von ihm, insgesamt waren es 31, davon drei wegen Polizistenmordes. Doch Sabos Dahinscheiden wird kaum einen Einfluß haben auf die Art und Weise, mit der die Justiz in Pennsylvania Abu-Jamals Fall weiter behandeln wird. Schon gar nicht, seit mit dem ehemaligen Gouverneur von Pennsylvania, Thomas Ridge, nun einer der schärfsten Befürworter der Hinrichtung Abu-Jamals als »Koordinator der Heimatverteidigung« mit Sondervollmachten für die Innere Sicherheit in George W. Bushs Kabinett sitzt.
Dann können positive Einflüsse auch auf Abu-Jamals Fall schon eher von Maßnahmen ausgehen wie der des Gouverneurs von Maryland, dem zweiten Bundesstaat nach Illinois, in dem der höchste Regierende ein Moratorium über die Todesstrafe verhängt hat. In Annapolis verkündete Gouverneur Parris Glendening vergangenen Donnerstag, dieses Moratorium werde so lange gültig sein, bis alle Fragen der möglichen rassistischen Einflüsse auf die Urteile ausgeräumt sind. Dazu wird eine Forschungsstudie an der University of Maryland erstellt, deren Veröffentlichung in etwa einem Jahr erwartet wird. In der Konsequenz bedeutet das: kein verurteilter Gefangener wird mehr hingerichtet, kein neues Todesurteil ausgesprochen. Der erste Gefangene, dessen Leben dadurch gerettet wird, ist Wesley Eugene Baker, der im Laufe dieser Woche hätte per Giftspritze exekutiert werden sollen. Er ist einer von 13 Gefangenen, die im Bundesstaat Maryland im Todestrakt einsitzen. Unterstützt wurde Glendening von der Vizegouverneurin Kathleen Kennedy Townsend, die die aussichtsreichste Kandidatin der nächsten Gouverneurswahlen in Maryland ist und eine Kontinuität in dieser Sache garantiert.
Gouverneur George Ryan aus Illinois war der erste Gouverneur, der die steigenden Zweifel an der Praxis der Todesstrafe in den USA im Jahr 2000 durch das erste Moratorium seit 1976 dokumentierte. Mittlerweile sind in seinem Bundesstaat von einer Kommission 85 Änderungsvorschläge für die gesetzliche Durchführung der Todesstrafe erarbeitet worden, die sich im wesentlichen mit der bekannten Gefahr von Fehlurteilen befassen. Wie eine Sprecherin der Kampagne gegen die Todesstrafe und für die Freiheit von Mumia Abu-Jamal im Vorfeld des Staatsbesuches erklärte, sollte dem US-Präsidenten gegenüber öffentlich deutlich gemacht werden, daß es letztlich nicht um andere Durchführungsbestimmungen, sondern um eine generelle Abschaffung der Todesstrafe geht.
Jürgen Heiser
Aktueller Nachtrag: Der scheidende Gouverneur George H. Ryan hat am 11. Januar 2003 vier Gefangene freigelassen, damit müßte sich die in der Überschrift angeführte Zahl auf mindestens 107 erhöht haben. Wer aktuelle Zahlen weiß, bitte mitteilen!
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