Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 92 – 20./21. April 2013
Wenn wir in den USA über Pressefreiheit sprechen, die durch den ersten Zusatzartikel der US-Verfassung garantiert wird, dann tun wir das irrtümlicherweise gern mit dem Gestus des Eigenlobs und klopfen uns dabei selbst auf die Schultern. Der Historiker Alexis de Tocqueville, ein aufmerksamer Beobachter der Vereinigten Staaten, hatte diese Eigenschaft schon früh in unserer Nation erkannt und kritisierte sie in seinem klassischen Werk »Die Demokratie in Amerika« von 1836.
Denn die Verfassung bezieht sich in der Frage der Gewährung von Pressefreiheit nur auf die Rolle des Staates, des US-Kongresses, aber sie sagt nichts aus über die Macht, die private Unternehmen über sie haben. Also die Eigentümer, denen Zeitungsverlage, Radio- und Fernsehsender gehören und die allein darüber entscheiden, wer in der Medienindustrie angeheuert und wer gefeuert wird.
Aber genau das ist der entscheidende Punkt, um den es geht. Denn der Kongreß ist weit weg, aber dein Boß oder seine Erfüllungsgehilfen in der Chefredaktion sind ganz nah und schauen dir über die Schulter. Aber während kein Journalist, Rundfunkreporter oder Diskjockey sich Sorgen machen muß, vor den Kongreß zitiert zu werden, fürchten doch alle Mitarbeiter in den Medien den Anruf »von oben« und die Aufforderung, sofort zum Boß zu kommen. Denn sie wissen, daß sie dem, der ihren Gehaltsscheck unterzeichnet, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Sie kapieren schnell, woher der Wind weht in ihren Redaktionsstuben und vermeiden es tunlichst, Staub aufzuwirbeln.
Ein Musterbeispiel dafür war zu Beginn des Irak-Krieges der Fall der Auslandschefkorrespondentin Christiane Amanpour vom Sender CNN. In einer CNBC-Sendung erklärte Amanpour im September 2003: »Ich denke, daß der Presse ein Maulkorb verpaßt wurde, und ich denke auch, daß sie sich diesen Maulkorb selbst umgehängt hat. Es tut mir leid, daß ich das sagen muß, aber ganz sicher ist das Fernsehen, und in gewissem Maße auch mein Sender, von der Regierung und ihren Handlangern von Fox News eingeschüchtert worden. Und sie hat in bezug auf unsere Berichterstattung wirklich ein Klima der Angst und Selbstzensur erzeugt.«
Da haben wir es also – Journalisten üben Selbstzensur. Sich der Selbstzensur zu widersetzen zu einem Zeitpunkt, an dem die USA mit einer der kritischsten Frage konfrontiert waren, vor der eine Nation stehen kann – der von Krieg und Frieden –, würde für Journalisten nicht nur bedeuten, sich mit der Regierung anzulegen, sondern auch mit den Bossen ihrer Verlage oder Sender. Trotz der erschreckend hohen Kosten, die der Krieg forderte – Millionen aus dem Land geflüchteter Iraker, verwüstete Städte, das internationale Ansehen der USA in Scherben, den Tod von wahrscheinlich über eine Million Irakern und mehreren tausend US-Amerikanern –, konnten sie es sich nicht leisten, sich in Widerspruch zur Regierungspolitik zu setzen.
Als in Shakespeares Drama »Die Tragödie von König Richard III.« des Königs Pferd in einer Schlacht getötet wird, schreit dieser verzweifelt über das Schlachtfeld: »Ein Pferd! Ein Pferd! Mein Königreich für ein Pferd!« In der Tragödie ging nur ein Königreich verloren. Im Irak-Krieg jedoch opferten die Medien ein ganzes Land.
Übersetzung: Jürgen Heiser