Aus: junge Welt Nr. 55 – 6. März 2013 / Von Jürgen Heiser
Nachdem der US-Soldat Bradley Manning sich am vergangenen Donnerstag in Rahmen der Voruntersuchung vor dem Militärgericht in Fort Meade, Maryland, dazu bekannte, Dokumente der US-Kriegsführung in Afghanistan und Irak enthüllt zu haben »um damit in den USA eine Debatte auszulösen«, hält die Militärstaatsanwaltschaft weiter an ihrem Hauptvorwuf der »Unterstützung des Feindes« fest. Die Ankläger des Pentagon stellen den international geschätzten und von vielen Kriegsgegnern unterstützten »Whistleblower« als angeblichen »Terrorhelfer« hin.
Die Staatsanwaltschaft konterte deshalb Mannings Einlassung Ende vergangener Woche mit einem Beweisantrag, wonach im kommenden Prozeß ein Zeuge aussagen soll, der einer Sondereinheit des US-Militärs angehört. Nach Agenturmeldungen, die rein auf Regierungsangaben basierten, sollen diese Spezialkräfte am 1. Mai 2011 im pakistanischen Ort Abbottabad in das Haus eingedrungen sein, in dem der gesuchte Osama bin Laden unerkannt wohnte. Bin Laden war dabei erschossen und sein Leichnam beseitigt worden.
Der Zeuge werde aussagen, so der Anklagevertreter, bin Laden habe jemanden von Al-Qaida beauftragt, »Informationen über die nationale Verteidigung der USA« zu besorgen. Besagtes Al-Qaida-Mitglied habe dann Dokumente, die auf der Website der Enthüllungsplattform Wikileaks zu finden waren, an bin Laden geliefert. Damit sei bewiesen, so die Ankläger, daß »die Feinde Amerikas« die von Manning unerlaubt weitergeleiteten Informationen durch Wikileaks »erhalten« hätten und der Tatbestand der »Unterstützung des Feindes« erfüllt.
Mannings Hauptverteidiger David Coombs wies diese Schlußfolgerung zurück. Artikel 104 des Einheitlichen Militärgesetzbuches stelle nicht den »Erhalt« von Informationen unter Strafe, sondern das Moment der unmittelbaren Weitergabe. Die Anklage habe aber nicht erst nach dem 1. Mai 2011 auf »Unterstützung des Feindes« gelautet, sondern bereits zwei Monate zuvor, als von den angeblich durch bin Laden genutzten Wikileaks-Informationen noch keine Rede gewesen sei. Coombs wertete den Antrag der Staatsanwaltschaft deshalb als »irrelevant«, für seinen Mandanten aber als »abträglich«. Die Anklage setze den Namen bin Ladens nur dazu ein, das Verfahren politisch aufzuladen und seinem Mandanten bösartige Motive zu unterstellen.
Was den Beweisantrag der Staatsanwaltschaft jedoch vor allem brisant macht, ist die Tatsache, das der unter dem Namen »John Doe« anonymisierte Elitesoldat nicht im Prozeß auftreten soll. Nach Angaben der Ankläger habe »John Doe in bin Ladens Gebäudekomplex digitale Medien geborgen«. Es wird nun spekuliert, daß der Zeuge der Eliteeinheit »Team 6« der US-Navy-Seals angehört. Ein Hinweis darauf ist nach Einschätzung des »Bradley Manning Support Network« die eingeschränkte Aussagegenehmigung des US-Verteidigungsministeriums für »John Doe«, wonach »seine Identität und andere Elemente seiner voraussichtlichen Aussage geheim sind oder geheimgehalten werden müssen«. Nach Meinung der Staatsanwaltschaft umfaßt dieses Privileg auch, daß der Verteidigung nicht gestattet werden darf, den Zeugen vor seiner Aussage im Prozeß zu vernehmen. Anwalt Coombs sieht dadurch jedoch das Verfassungsrecht seines Mandanten verletzt, den Zeugen selbst befragen zu dürfen. Militärrichterin Denise Lind wird ihre Entscheidung über den Beweisantrag und den Umgang mit »John Doe« in der am 10. April beginnenden nächsten Sitzungsperiode der Voruntersuchungen bekanntgeben.