Aus: junge Welt Nr. 291 – 14. Dezember 2012 / Von Jürgen Heiser
Einen Tag nach der Wahl Bradley Mannings zur »Person des Jahres« durch die Leser des britischen Guardian ist in den USA am Dienstag die zehnte gerichtliche Anhörung im Fall des mutmaßlichen Wikileaks-»Whistleblowers« zu Ende gegangen. Vor gut gefüllten Zuschauerbänken setzten sich Verteidigung und Staatsanwaltschaft in ihren Schlußvorträgen mit der Frage auseinander, ob die Haftbedingungen des wegen der offengelegten Afghanistan- und Irak-Kriegsprotokolle angeklagten Nachrichtenanalysten der US-Armee den Tatbestand einer rechtswidrigen Bestrafung vor dem Hauptprozeß erfüllen. Verteidiger David Coombs hatte deshalb schon im Juli die Einstellung des Verfahrens beantragt.
Anwalt Coombs analysierte in seinem Schlußvortrag die Zeugeneinlassungen der letzten zwei Wochen. Die Einflußnahme des vom Pentagon mit der Kontrolle des Falls beauftragten Dreisternegenerals George Flynn wertete er als »Bruch der Befehlskette«. Erst diese Einmischung »höchster Stellen« habe es den unmittelbar für Bradley Manning Verantwortlichen erlaubt, ihn »wie ein Zootier« zu behandeln und vorzuführen. Die verschärfte Sonderhaft, der sein Mandant zur angeblichen »Verhinderung von Selbstverletzung« in der Marinebasis Quantico, Virginia, neun Monate lang unterworfen war, sei »tatsächlich Isolationshaft« gewesen. Die beiden Militärpsychiater, die Manning ärztlich betreut hatten, seien durch Mannings Behandlung an Methoden von Verhörspezialisten erinnert worden und hätten sie als schlimmer bezeichnet als das, was in Todestrakten üblich sei. Ihre Empfehlungen, die gegen seinen Mandanten verhängten Restriktionen aufzuheben und ihm den Kontakt zu anderen Häftlingen zu ermöglichen, seien jedoch ignoriert worden, weil es entsprechende »Befehle von oben« gab. Wenn sein Mandant unter dieser neun Monate dauernden Drangsal nicht zusammengebrochen sei, dann »nur dank seines starken Charakters«, erklärte Coombs. Wenn man jede Sekunde wie ein Tier im Zoo beobachtet werde, wenn man in Hand- und Fußfesseln Hofgang habe, um jedes Blatt Toilettenpapier bitten und nackt zum Rapport antreten müsse, »dann muß das einfach die Psyche belasten«, so der Anwalt vor Gericht.
Hochrangige Zeugen anderer Militärgefängnisse hätten die neun Monate dauernde Isolierung Mannings als »beispiellos« bezeichnet. Bei realer Suizid- oder Selbstverletzungsgefahr werde ein Insasse spätestens nach vier Tagen zur medizinischen Behandlung in die Obhut einer psychiatrischen Einrichtung übergeben. Nicht so bei seinem Mandanten.
Demgegenüber vertrat Militärstaatsanwalt Ashden Fein in seiner Schlußerklärung den Standpunkt, Manning sei zwar »nicht normal behandelt« worden, die diensthabenden Offiziere in Quantico hätten aber »aus reiner Vorsicht« so gehandelt. Allerdings, so räumte der Ankläger des Pentagon ein, hätte auf den Rat der Psychiater gehört und Mannings »Suizid-Status« früher aufgehoben werden müssen. Jedoch könne er nur sieben Tage als »unberechtigten Suizid-Status« gelten lassen, erklärte Fein und empfahl dem Gericht, diese Tage von der zu erwartenden Haftstrafe abzuziehen. Nathan Fuller vom »Bradley Manning Support Network« dazu empört auf Twitter: »Die Staatsanwaltschaft schlägt also vor, daß Bradley Manning zu lebenslanger Haft verurteilt werden soll – minus sieben Tage!«
Richterin Lind wird sich nun durch einen Berg von Mitschriften der Zeugenaussagen arbeiten müssen und ihre Entscheidung über den Einstellungsantrag der Verteidigung sicher nicht vor dem nächsten Anhörungstermin am 8. Januar 2013 bekanntgeben.