Link zur Schwerpunktseite in junge Welt vom 26. September 2012:
http://www.jungewelt.de/2012/09-26/048.php[1]
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UNTÄTIG GEGEN TÄTER
Zur Falschaussage genötigt: Belastungszeuge widerruft
Die bevorstehende Hinrichtung eines Mannes, der als Minderjähriger Opfer sexueller Gewalt war, trifft derzeit einen empfindlichen Nerv in Pennsylvanias Öffentlichkeit. Vor allem, weil in mehreren anderen Fällen offenbar wurde, daß sich Verantwortliche in Kirchen oder Sportvereinen nicht schützend vor die Opfer stellten, sondern die Täter trotz erheblicher Verdachtsmomente gewähren ließen. So wurde Jerry Sandusky, der frühere Kotrainer des Footballteams der Pennsylvania State University, im Juni schuldig gesprochen, 15 Jahre lang in mindestens 45 Fällen Jungen sexuell mißbraucht zu haben. Das Verfahren enthüllte, daß die Universitätsleitung lange Zeit von den Vorwürfen gegen Sandusky wußte, aber nichts gegen ihn unternahm. Im Juli wurde ein hoher Geistlicher der katholischen Erzdiözese von Philadelphia wegen Kindesgefährdung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Er hatte es zugelassen, daß ein ihm unterstellter Priester, der wegen sexuellem Mißbrauch vorbestraft war und erneut einen Ministranten mißbraucht hatte, weiter mit Kindern arbeiten durfte.
»Wenn es einen Staat gibt, der weiß, welche Traumata die Opfer sexuellen Mißbrauchs durchleben, dann ist es Pennsylvania«, erklärte Marc Bookman vom »Atlantic Center for Capital Representation«, das Angeklagte in Todesstrafenverfahren vertritt und für die generelle Abschaffung der Todesstrafe plädiert, gegenüber der Huffington Post. Bookman verständnislos: »Und eines dieser Opfer soll nun hingerichtet werden?«
Das öffentliche Interesse galt deshalb der von Richterin Sarmina für letzten Donnerstag anberaumten Anhörung. Als Zeugen geladen waren Staatsanwältin Andrea Foulkes, inzwischen zur Bundesanwältin aufgestiegen, sowie der 46jährige Marc Draper, der aus der Haft vorgeführt wurde. Bei seinem Handel mit der Anklage für eine Zeitstrafe (»plea bargaining«), die später zur Bewährung ausgesetzt würde, war er hereingelegt und zu lebenslang ohne Bewährung verurteilt worden. In der Anhörung wiederholte er, was er schon seit Januar in eidlichen Aussagen erklärt hatte. Polizei und Foulkes hätten ihn damals zu der Falschaussage genötigt, Terrance Williams habe Amos Norwood während eines Raubüberfalls getötet »und nicht aus Wut über jahrelangen Mißbrauch durch Norwood«. Zur Belohnung versprach Foulkes, sich für seine Bewährung einzusetzen. Dafür müsse er aber immer an dieser Version festhalten, hätten die Polizisten ihn ermahnt. Draper nachdrücklich: »Weder Ms. Foulkes noch die Polizei wollten irgend etwas davon hören, daß Norwood Sex mit Terry haben wollte.«
Im Zeugenstand kanzelte Staatsanwältin Foulkes Drapers Angaben als »komplette Lüge« ab, gab aber zu, sich damals nicht weiter um Drapers Entlassung auf Bewährung gekümmert zu haben. Ihr Schreiben an die Bewährungskommission habe sie Drapers Vater, einem Polizeibeamten, übergeben. Auf Nachfrage räumte Foulkes ein, sie hätte die Jury im Prozeß gegen Williams über diesen Brief und Drapers »Kooperationsbereitschaft« informieren müssen. Darauf rätselte Richterin Sarmina laut, wieso Draper sich überhaupt eines Verbrechens schuldig bekannt habe, das ihm lebenslange Haft garantierte«. Foulkes dazu lapidar, er habe wohl die Todesstrafe gefürchtet, wenn es zum Prozeß gegen ihn gekommen wäre. Ihm sei sicher Unrecht geschehen, so Draper, aber sein Widerruf habe nichts mit Groll darüber zu tun. Als wiedergeborener Christ und gläubiger Mensch wolle er »heute einfach nicht, daß jemand für diese Sache sterben muß«, so Draper mit Blick auf Williams’ Hinrichtungstermin.
(Jürgen Heiser)
PETITION: GOUVERNEUR SOLL EXEKUTION STOPPEN
Für die Begnadigung von Terrance Williams haben sich laut Amnesty International außer fünf der Geschworenen des Verfahrens von 1986 auch »30 Kinderschutzbeauftragte und Experten für Kindesmißbrauch, 18 frühere Staatsanwälte, acht pensionierte Richter, 47 Psychotherapeuten und zahlreiche Juraprofessoren« ausgesprochen. Auch Mamie Norwood, die Witwe des Mordopfers, erklärte öffentlich, Williams verziehen zu haben, und bat darum, »sein Leben zu schonen«.
Sue Osthoff, Leiterin einer Clearingstelle in Philadelphia, die sich für Mißbrauchsopfer einsetzt, die wegen Straftaten im Zusammenhang mit ihren Traumata verfolgt werden: »Als ich über Terry Williams’ Leben und Fall hörte, war mir sofort klar, daß ich alles dafür tun muß, die angesetzte Hinrichtung dieses Mannes zu verhindern, der nicht im Todestrakt säße, wenn die Jury alle relevanten Beweise gehört hatte.«
Die Mobilisierung der Öffentlichkeit ist jetzt notwendig, weil eine wichtige Vorentscheidung bereits gefallen ist: Am 13. September stimmte der Gnadenausschuß Pennsylvanias zwar mit einer knappen Mehrheit von drei zu zwei Stimmen dafür, Williams nicht hinzurichten, aber um den Gouverneur Tom Corbett zu einem Gnadenakt zu bewegen, wäre ein einstimmiges Votum des Ausschusses erforderlich gewesen. Prompt erklärte dessen Büro, der Gouverneur habe »seinen Eid auf die staatlichen Gesetze geleistet, einschließlich der Todesstrafe«. Wenn der Gouverneur aufgerufen werde, seine verfassungsmäßigen Pflichten wahrzunehmen, »dann wird er das tun«. Corbett ist als Todesstrafenbefürworter bekannt.
Sue Osthoff hat deshalb über die Organisation Change.org eine Online-Petition an Gouverneur Corbett gestartet. Eine weitere ist Teil einer »Urgent Action« von Amnesty International. Die Verteidigung bittet die Öffentlichkeit, sich darüber direkt an die Verantwortlichen zu wenden, um die Hinrichtung ihres Mandanten in letzter Minute zu verhindern. (jh)
Petitionen unter: www.freedom-now.de. HIER anklicken![2]