Aus: junge Welt Nr. 209 – 7. September 2012 / Von Jürgen Heiser
In zahlreichen US-Städten hat sich die Unterstützerbewegung für den als »Whistleblower« angeklagten US-Soldaten Bradley Manning in den letzten beiden Tagen in den US-Präsidentschaftswahlkampf eingemischt. In dreizehn US-Bundesstaaten von Hawai über Kalifornien und Alabama bis New York fanden mehr als zwei Dutzend Kundgebungen vor den Wahlkampfbüros der Kampagne »Obama 2012« und vor den Türen des Wahlparteitags der Demokratischen Partei in Charlotte, North Carolina, statt. Mit ihrer Forderung nach Mannings sofortiger Freilassung und einem Ende der Verfolgungen aller »Whistleblower« konzentriert sich die Solidaritätsbewegung jetzt auf den um seine Wiederwahl kämpfenden US-Präsidenten Barack Obama als Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte.
Im besonderen wird Obama zum Ziel der Proteste, seit bekannt wurde, daß es ein hoher Militär des Pentagon war, der die Isolationshaftbedingungen befahl, denen der 24jährige Nachrichtenanalyst in der Quantico Marinebasis in Virginia neun Monate lang unterworfen war (jW berichtete). Kevin Zeese, Anwalt des »Bradley Manning Support Network«, rief jetzt auf der Website des Netzwerks die Aussagen von Kommentatoren in Erinnerung, die sich schon 2010 überzeugt gezeigt hatten, Manning sei »gefoltert worden, um ihn zu brechen, damit er sich schuldig bekennt und als Kronzeuge gegen (den Mitbegründer von WikiLeaks; d. Red.) Julian Assange einsetzbar wäre«. Mit den Ermittlungsergebnissen von Mannings zivilem Hauptverteidiger David Coombs, daß nicht etwa der Kommandeur des Militärgefängnisses, sondern »ein Dreisternegeneral des Pentagon die Entscheidungen über die Haftbedingungen traf«, hätten diese Einschätzungen »größere Glaubwürdigkeit erhalten«. Coombs hatte die Hinweise auf Generalleutnant George Flynn Beweismitteln aus dem E-Mail-Verkehr in Quantico entnommen, die die Staatsanwaltschaft der Verteidigung ein halbes Jahr vorenthalten hatte.
Die militärische Laufbahn des George Flynn enthält ausreichende Hinweise dafür, daß er nicht zufällig zum Herrn über die Haftbedingungen Mannings ernannt worden sein kann. Flynn gehört zur obersten Führung des US-Marinekorps, in dem es nur 60 Dreisternegeneräle gibt. In diese Position wird man auf Vorschlag des Verteidigungsministers direkt vom US-Präsidenten befördert. Die Mehrheit des US-Senats muß dem formal zustimmen. Wer diesen Rang erreicht, bringt also fachliche Voraussetzungen mit, die diese hohe militärische Position verlangt.
Flynns Militärkarriere begann 1975 nach Abschluß der Marineakademie. Seine wichtigsten Lorbeeren verdiente er sich unter der Regierung George W. Bushs als Stabschef des U.S. Special Operations Command (USSOCOM), dem Kommando sämtlicher US-Spezialeinheiten von Armee, Luftwaffe und Marine, und als kommandierender General des für Training und Ausbildung zuständigen Führungsstabes. Unter Obama fungierte er ab 2008 als Vizegeneral des multinationalen Korps in Irak, und seit 2011 leitete er der Abteilung J-7 des Vereinigten Generalstabs, zuständig für »Operationspläne und Interoperabilität«. Flynns letzte Positionen lassen sich auch in den Dokumenten nachvollziehen, die Manning 2010 angeblich an die Öffentlichkeit gebracht haben soll. Der General ist also unmittelbar Betroffener dessen, was gegen Manning ab Februar 2013 vor dem Militärgericht verhandelt werden und dem Obergefreiten nach den Vorstellungen des Pentagon lebenslange Haft einbringen soll.
Während Flynns Zeit als Stabschef des USSOCOM wurden Pläne zur Ausweitung des Einsatzes der US-Spezialeinheiten im weltweiten »Krieg gegen den Terror« umgesetzt und die Zusammenarbeit mit dem US-Geheimdienst CIA intensiviert. Vor dem Hintergrund der zentralen Funktionen Flynns im US-Militärapparat erklärte Kevin Zeese vom »Bradley Manning Support Network«, »die Tatsache, daß ausgerechnet der Offizier, der so eng mit der CIA zusammengearbeitet hat, die Befehle für Mannings Haftbedingungen erteilte«, werfe drängende »Fragen über den Zweck dieser Mißhandlungen in der Haft auf«. Mannings Verteidigung hofft nun, diesen Fragen mit der Durchsetzung ihres jüngsten Einstellungsantrages wegen »ungesetzlicher Bestrafung« ihres Mandanten in der Untersuchungshaft eine gebührende Antwort erteilen zu können.