Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 192 – 18./19. August 2012
Ein bewaffneter Mann dringt in ein Gebäude ein, in dem sich Menschen mit dunkler Hautfarbe aufhalten. Er richtet ein Blutbad an. Stunden später hören wir, daß der Attentäter, dessen Ziel ein Tempel der Glaubensgemeinschaft der Sikh in Oak Creek, Wisconsin, war, nicht nur ein Veteran der US-Armee, sondern auch Mitglied rechter Rassistengruppen ist. Erst Tage später erfahren wir, daß Wade Michael Page sich selbst getötet hat, um seiner Verhaftung und einer Gefängnisstrafe zu entgehen. Aber wir erfahren noch mehr: Der Täter hatte während seines Militärdienstes Ende der 1990er Jahre in seinem Armeeposten eine Naziflagge gehißt. Es ist anzunehmen, daß seine Vorgesetzten entweder mit dem einverstanden waren, was Wade mit dieser Fahne zum Ausdruck bringen wollte, oder sie haben einfach beide Augen zugedrückt.
Aber die Geschichte geht noch weiter. Pressemeldungen nach dem Massaker vom 5. August belegen, daß der Attentäter nicht nur ein einfacher Soldat der US-Armee war, sondern seinen Dienst im Psychological Operations Unit (PSYOP), einer Einheit für psychologische Kriegführung, versah. Jeder, der auch nur eine vage Kenntnis von den US-Geheimdiensten hat, weiß, daß PSYOP die Kurzformel ist für nachrichtendienstliche Wühlarbeit mit schmutzigen Tricks. Das schließt das Erzeugen von Chaos und Instabilität in Ländern mit ein, die in das Fadenkreuz der US-Geheimdienste geraten sind.
Berüchtigt wurde in diesem Zusammenhang das Vorgehen der CIA (Central Intelligence Agency) in Guatemala, die mit gezielten Falschmeldungen in Radiosendungen den Eindruck erweckte, als hätte sich das Militär gegen den gewählten linken Präsidenten Jacobo Arbenz gewendet, und ihn im Zuge dieser konterrevolutionären Strategie 1954 stürzte. Ähnliche Methoden wurden in Italien angewandt, als es so aussah, daß die Kommunistische Partei Italiens (KPI) einen Wahlsieg erringen könnte. Die CIA nutzte ihre guten Kontakte zur Mafia und zum Großkapital, um das von ihr angestrebte Ziel durchzusetzen: eine rechtsgerichtete Regierung.
Heißt das nun, daß PSYOP auch hinter dem Attentat auf den Sikh-Tempel steht? Nein. Aber man sollte sich näher mit dieser Frage befassen. Denn mächtige Gruppierungen der Wirtschaft haben heute ein Interesse daran, in den USA ein Klima des gesellschaftlichen Chaos zu schaffen, um die Macht rechter Kräfte weiter zu etablieren. Sie meinen das dadurch bewerkstelligen zu können, daß sie die stärkste aller »Drogen« verbreiten: Angst.
Daß der Attentäter Wade Michael Page augenscheinlich auf keiner Liste von Verdächtigen auftauchte, sagt mehr über den Zustand der US-Armee aus als über ihn. Annähernd eine Million junge und erwachsene Männer aus den Bevölkerungsgruppen der Schwarzen und Latinos werden jährlich in New York, Philadelphia oder Chicago von der Polizei kontrolliert und gefilzt, weil sie allein aufgrund ihrer äußeren Erscheinung generell verdächtig sind. Aber ein Neonazi kann in ein Waffengeschäft gehen und legal Waffen erwerben, um die Hölle aus seinem Innersten nach außen zu kehren und ein Massaker anzurichten! Angst erzeugt Blutbäder.
Übersetzung: Jürgen Heiser