Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 156 – 07./08. Juli 2012
Es ist typisch für diese Zeiten, daß der Oberste Gerichtshof der USA, der Supreme Court, über ein so kontroverses Thema wie das Einwanderungsgesetz entscheidet und die beiden widerstreitenden Parteien das Ergebnis jeweils für sich als Sieg deklarieren können. Die Rede ist von dem Immigrationsgesetz des US-Bundesstaates Arizona. Es verpflichtet die Polizei, Personen, bei denen ein »begründeter Verdacht« auf illegale Einwanderung besteht, nach ihren Papieren zu fragen. Wer seine Dokumente nicht bei sich trägt, sollte sich allein dadurch schon strafbar machen.
Die US-Regierung hält das Gesetz für diskriminierend und deshalb für verfassungswidrig und hat es unmittelbar nach seiner Verabschiedung im Jahr 2010 angefochten. Fünf von neun Richtern des Supreme Court, darunter der Vorsitzende Richter John Roberts, sprachen sich nun gegen Teile des Gesetzes aus. Richterin Elena Kagan war in einer früheren Tätigkeit in den Fall involviert und nahm deshalb an der Abstimmung nicht teil. Drei Richter lehnten den Mehrheitsentscheid ab.
Wer sich jemals gefragt hat, ob das höchste Gericht der USA nicht vielleicht eine zutiefst politisch handelnde Institution ist, für den bietet der Ausgang der Klage »Arizona gegen Vereinigte Staaten« reichlich Munition. Ganz abgesehen davon, daß sich nach dem Wahldebakel von 2000, als der Oberste Gerichtshof dem Republikaner George W. Bush gegenüber dem Demokraten Al Gore den Wahlsieg zuschusterte, diese Frage eigentlich kaum noch stellte.
Mit seiner 5-zu-3-Entscheidung stellte der Gerichtshof nun am 25. Juni zwar in drei der vier Klagepunkte fest, daß das Bundesgesetz gegenüber dem Staatsgesetz von Arizona Vorrang hat. Dabei geht es um die Frage der Strafbarkeit des Nichtmitführens von Aufenthalts- und Arbeitspapieren. Im vierten Punkt ließen die hohen Richter das Immigrationsgesetz von Arizona jedoch unangetastet. Demnach dürfen Beamte, die das Gesetz in den Bezirken und im Bundesstaat vertreten, vorerst weiterhin jeden anhalten und nach seinen Papieren fragen, der im Verdacht steht, gegen die Bestimmungen des Einwanderungsgesetzes zu verstoßen.
Und was glauben Sie, wer die »üblichen Verdächtigen« sind? Kanadier? Iren? Belgier? Wir alle wissen, daß dieses Gesetz nur aus einem einzigen Grund erlassen wurde, nämlich um die »Hispanics«, US-Bürger oder Einwanderer lateinamerikanischer Herkunft, die hier arbeiten, von ihren Arbeitsplätzen und am besten gleich ganz aus Arizona zu vertreiben. Dahinter steckt die Befürchtung, in diesem Bundesstaat könnten künftig zu viele Menschen mit brauner Hautfarbe leben. Vielen weißen US-Amerikanern steckt die Angst vor der am schnellsten wachsenden Minderheit des Landes in den Knochen. Sie befürchten, diese über 50 Millionen Menschen könnten die Nation derart verändern, daß sie nicht mehr ihren Vorstellungen entspricht. Genau das war der Ursprung des »Arizona SB 1070« (Senate Bill 1070, der Gesetzentwurf Nr. 1070 des Senats von Arizona; d. Red.). Sein Kern ist der gesetzliche Zwang zum Vorzeigen der Papiere, und aus diesem Grund haben die obersten Richter auch genau diesem Punkt des Gesetzes ihre Zustimmung gegeben. Es geht um Angst, und die besteht weiter.
Übersetzung: Jürgen Heiser