Aus: junge Welt Nr. 148 – 28. Juni 2012 / Von Jürgen Heiser
Der als »Whistleblower« angeklagte Nachrichtenanalyst der US-Armee, Bradley Manning, hat am Montag vor dem US-Militärgericht in Fort Meade, Maryland, einen Erfolg errungen. In dem kurzfristig anberaumten zusätzlichen Anhörungstermin ordnete die vorsitzende Richterin Oberst Denise Lind an, die Staatsanwaltschaft habe dem Gericht einen detaillierten Bericht über alle ihr vorliegenden Beweise zu liefern, »die für die Verteidigung des Obergefreiten Bradley Manning hilfreich sein könnten«. Die Entscheidung erfolgte auf Antrag des Hauptverteidigers David Coombs, der in seiner Begründung irreführende Angaben der Ankläger bezüglich ihrer Bemühungen zitiert hatte, die vom Gericht bereits Anfang Juni eingeforderten Materialien zu lokalisieren.
»Die Obama-Regierung kann nicht für immer ihre Augen vor der Realität verschließen«, erklärte Jeff Paterson, Sprecher des »Bradley Manning Support Network«, nach dem Beschluß. Jede Entscheidung zugunsten der Wahrheit sei »ein Sieg für Bradley Manning, weil die auf Beweismittelmißbrauch, Verdunkelung und Täuschung setzende Regierungsstrategie bei Licht betrachtet einfach in sich zusammenbrechen muß«, so Paterson.
Zusätzlich ordnete Lind an, die Anklage müsse dem Gericht sogenannte Folgenabschätzungen der CIA, des FBI, des Außenministeriums und des Office of the National Counter Intelligence Executive (ONCIX) zur Verfügung stellen. Bei diesen Gutachten geht es um die Frage, inwieweit die Manning zur Last gelegte Weitergabe sensibler Militär- und Regierungsdokumente an Wikileaks und deren Veröffentlichung durch die Enthüllungsplattform der Sicherheit der USA geschadet haben könnten. Anwalt Coombs rügte, daß die Verteidigung erst nach der letzten Anhörung von einem weiteren Gutachten des Department of Homeland Security erfahren habe. Die Anklage habe gewußt, daß das Heimatschutzministerium »ein Gutachten für ONCIX erstellt hatte, es dem Gericht aber verschwiegen«, erklärte Coombs. Zur Glaubhaftmachung zitierte er frühere Angaben der Staatsanwälte, wonach es »kein ONCIX-Gutachten« gegeben habe. Coombs empfahl Richterin Lind, »am losen Ende des Fadens dieser Argumentation zu ziehen«, dann fiele sie sofort in sich zusammen. Nach der Überzeugung des Verteidigers werden die bislang von der Anklage zurückgehaltenen Gutachten zeigen, »daß die Wikileaks-Veröffentlichungen der nationalen Sicherheit der USA keinen substantiellen Schaden zugefügt haben«.
Der Verteidigung geht es bei ihren beharrlichen Bemühungen um Offenlegung aller Ermittlungsergebnisse darum, die vom Pentagon offensichtlich angestrebte lebenslange Haft für ihren Mandanten zu verhindern. Deshalb arbeitet auch das »Bradley Manning Support Network« an einer Verstärkung öffentlicher Proteste. Ein Koordinationstreffen unter dem Titel »Bradley Manning, Widerstand im Militär und die Linke« hatte bereits am 18. Juni zu Beschlüssen kollektiver Aktionen mit Organisationen der US-Linken und der Kriegsveteranen geführt. Im Vordergrund stehe dabei das gemeinsame Interesse nicht zuzulassen, daß an Manning ein Exempel statuiert wird, so Teilnehmer des Treffens. Letztlich diene seine Verurteilung der Abschreckung und ziele auf die gesamte Antikriegsbewegung.
Am vergangenen Wochenende war auch auf den jährlich stattfindenden Pride Parades in New York, Chicago und San Francisco die Forderung »Freiheit für Bradley Manning« gut sichtbar auf die Straßen getragen worden. Vor der nächsten Anhörung vom 16. bis 20. Juli wollen Bündnisse aus mehreren kalifornischen Städten das Federal Court House in Los Angeles »okkupieren«. Im Zuge der auf drei Tage angesetzten Umzingelung des Bundesgerichts mit Zelten und Blockaden soll das Gebäude symbolisch in »Fort Manning« umbenannt werden.