Aus: junge Welt Nr. 142 – 21. Juni 2012 / Von Jürgen Heiser
Der Gründer der Internet-Enthüllungsplattform Julian Assange hat um politisches Asyl in Ecuador nachgesucht. Wenige Tage vor seiner Auslieferung an Schweden begab sich Assange am Dienstag in die Obhut der Londoner Botschaft des lateinamerikanischen Landes. Zuvor war der Antrag seiner Verteidiger an den Obersten Gerichtshof Großbritanniens, den Fall erneut zu prüfen, abgelehnt worden. Damit blieb es bei der Bestätigung der Auslieferung durch das höchste britische Gericht vom 30. Mai des Jahres.
Seine zehntägige Auslieferungsfrist an die schwedische Justiz wegen sexueller Delikte, die der 40jährige Assange von Beginn an als vorgeschoben bezeichnet hat, sollte am 28. Juni beginnen. Assange und seine Verteidiger befürchten hinter den Ermittlungen der Stockholmer Staatsanwaltschaft ein politisches Komplott, mit dem er letzten Endes in die Fänge der US-Justiz geraten solle. Schon Mitte 2010 wurde bekannt, daß Washington eine Anklage gegen den Internetaktivisten vorbereitetet und die Behörden Großbritanniens, Deutschlands und weiterer westlicher Verbündeter aufgefordert hatte, Strafermittlungen gegen Assange einzuleiten (jW berichtete).
Eine vom Außenministeriums Ecuadors verbreitete Erklärung zitierte Assanges Gründe für seinen Schritt in die diplomatische Mission Quitos. Er fühle sich durch sein Heimatland Australien im Stich gelassen, das »faktisch erklärt hat, nicht einmal meine rechtlichen Mindestgarantien vor einer ausländischen Regierung zu schützen, deren Landesverfassung die Todesstrafe für Spionage und Landesverrat vorsieht«. Die australische Regierung verletze damit ihre Sorgfaltspflicht gegenüber Bürgern, die politisch verfolgt werden. Eine Rückkehr in sein Heimatland sei ihm deshalb unmöglich, und er sehe sich »hilflos der Ladung zu Vernehmung durch das Königreich Schweden ausgesetzt, dessen Beamte mich offen attackiert haben«.
Die Regierung Ecuadors kündigte an, den Asylantrag Assanges zu prüfen. Im Fernsehen verlas Außenminister Patiño persönlich die Erklärung, in der es heißt, dies geschähe unter Berücksichtigung »des Respekts gegenüber den Regeln und Prinzipien des Völkerrechts und in der Tradition der Politik Ecuadors, die Menschenrechte zu schützen«.
Ein Sprecher von Scotland Yard erklärte gestern, es sei Haftbefehl gegen Julian Assange erlassen worden. Er habe »gegen die Kautionsauflagen verstoßen«, indem er den vereinbarten Hausarrest verlassen »und in der Botschaft Ecuadors übernachtet« habe. Demgegenüber vertrat Außenminister Patiño laut dem Guardian die Auffassung, Assange befinde sich auf »diplomatischem Territorium und damit außerhalb des Zugriffs der Polizei«.
Die australische Regierung sieht im Asylantrag des weltbekannten »Whistleblowers« eine Privatangelegenheit. Regierungschef Wayne Swan dazu in Canberra: »Herr Assange wird Entscheidungen im eigenen Interesse so treffen, wie er es sieht.« Offizielle Stellen Washingtons wollten sich zu der neuen Entwicklung im Fall Assange nicht einlassen. Dies sei »Sache Großbritanniens, Schwedens und Ecuadors«, heißt in einer über die Agenturen verbreiteten Erklärung des US-Außenministeriums.
Erst kürzlich hatte Assange Gelegenheit, persönlich mit dem Präsidenten Ecuadors zu sprechen. Für seine in London produzierte wöchentliche Talkshow »The World Tomorrow« bei dem englischsprachigen TV-Sender Russia Today (RT) interviewte Assange via TV-Schaltung Präsident Rafael Correa, den RT als einen »großen Fan von Wikilieaks« bezeichnete. Am Ende verabschiedete sich der sichtlich aufgeräumte Regierungschef des Andenstaats von Assange mit den Worten: »Kopf hoch! Willkommen im Club der Verfolgten«.