Kolumne # 593 vom 5.05.2012: Jahrzehntelange Repression

05.05.12 (von maj) Mitglieder der Organisation Move sitzen aufgrund einer konstruierten Anklage seit 34 Jahren in US-Knästen. Bewährungsanträge werden routinemäßig abgelehnt

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 105 – 5./6. Mai 2012

Gegen die linke afroamerikansche Move-Organisation führt das US-System einen permanenten Krieg. Betroffen davon sind vor allem die Überlebenden des Angriffs auf das Move-Haus in Powelton ­Village in Westphiladelphia. Am 8. August 1978 sollte dieses von der Polizei geräumt werden. Dabei wurden Tausende Schuß aus Polizeiwaffen auf ein Wohnhaus abgefeuert, in dem Frauen, Kinder und Männer lebten. Zuvor war das Haus stundenlang mit Wasserkanonen überflutet worden, um die Bewohner aus dem Gebäude zu treiben. Sie hatten sich vor dem Polizeiangriff in den Keller geflüchtet und sind dort nur knapp dem Ertrinken entgangen.
Auch die Justiz ließ sich mit ihren voreingenommenen Richtern und ehrgeizigen Staatsanwälten zur Waffe in diesem Krieg machen. Sie verhängten eine ungerechte und beispiellos hohe Gefängnisstrafe von 30 bis 100 Jahren gegen jedes einzelne der neun überlebenden Move-Mitglieder nach dem Polizeiüberfall vom 8. August 1978. Diese extrem ausgedehnte Strafe sollte die gemeinschaftliche Sühne für den Tod des Polizisten James Ramp sein, der beim Sturm auf das Haus umgekommen war. Alle Indizien sprechen dafür, daß Ramp durch das »Friendly fire« seiner Polizeikollegen gestorben ist. Richter Edward Malmed erklärte nach dem Prozeß, er habe nicht »die leiseste Ahnung«, wer Ramp getötet habe, aber da Move sich als »Family« verstehe, habe er die neun Angeklagten auch als Familie verurteilt.
Heute wird der Krieg gegen die acht noch lebenden Gefangenen der »Move 9« durch die Bewährungskommissionen fortgesetzt. Ohne sich auch nur einen Deut für die Begründungen der Anträge auf vorzeitige Entlassung zur Bewährung zu interessieren, lehnen diese Staatsbeamten sie routinemäßig ab. Sie nennen diese Inszenierungen »Anhörungen«, obwohl niemand den Gefangenen wirklich zuhört.
34 Jahre nach ihrer Verhaftung hätten sie längst ein Recht auf ihre bedingte Freilassung. Die gesetzlichen Bestimmungen sehen normalerweise vor, daß Gefangene, die sich im Verlauf mehrerer Jahre vor dem Ende ihrer Mindeststrafe nichts haben zuschulden kommen lassen, damit ein Anrecht auf ihre Entlassung auf Bewährung erwerben. Es hat sogar Fälle gegeben, in denen Häftlinge bei guter Führung vorzeitig entlassen oder bis zum Erreichen der Mindeststrafe in den offenen Vollzug verlegt wurden.
Ich sage »normalerweise«, denn wenn es um die Mitglieder der Move-Organisation geht, ist nichts »normal«. Dann kommen immer wieder neue Durchführungsverordnungen und neue Vorschriften auf den Tisch. Und am Ende finden die Verantwortlichen ständig neue Wege, »Nein« zu sagen. Wegen der Zugehörigkeit der Gefangenen zu Move. Und wegen ihrer Überzeugungen. Deshalb sind sie immer noch in Haft, obwohl sie bereits vier Jahre über ihre Mindeststrafe hinaus sind.
Im Fall der Frauen der »Move 9« haben sogar Anstaltsbedienstete wegen ihrer guten Führung die vorzeitige Entlassung befürwortet. Trotzdem hat die Bewährungskommissionen ihre bedingte Freilassung bereits mehrfach abgelehnt. Auch die Männer wären schon längst frei, wenn sie nicht Move angehören würden. 34 Jahre für eine konstruierte Anklage wegen »fahrlässiger Tötung« sind 34 Jahre zuviel. Es ist deshalb höchste Zeit, daß dieser jahrzehntelange Krieg beendet wird.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 23.11.2024 um 14:21:41 Uhr