Aus: junge Welt Nr. 68 – 20. März 2012 / Von Jürgen Heiser
Während der mutmaßliche »Whistlebower« Bradley Manning vergangene Woche in einer Anhörung vor dem US-Militärgericht in Fort Mead, Maryland, saß (jW berichtete), erreichte seinen Verteidiger David Coombs eine brisante Erklärung. Verfasser ist Ethan McCord, Exsoldat des 16. US-Infanterieregiments, 2007 in der irakischen Hauptstadt Bagdad stationiert. In dem von Wikileaks im April 2010 veröffentlichten Video »Kollateraler Mord« sieht man, wie McCord zwei schwerverletzte Kinder aus einem Kleinbus rettet. Zu hören ist, wie sein Vorgsetzter ihm befiehlt, sich »nicht um die verdammten Kinder zu kümmern, sondern seine Einheit zu sichern«. Minuten zuvor waren an jenem 12. Juli 2007 neun irakische Zivilisten und zwei Mitarbeiter der Agentur Reuters aus US-Kampfhubschraubern gezielt erschossen worden. Der US-Nachrichtenanalyst Bradley Manning wurde im Mai 2010 unter anderem wegen der Weitergabe des Videomaterials im US-Stützpunkt Hammer in Irak als mögliche »undichte Stelle« verhaftet.
Ethan McCord schreibt nun in seiner Erklärung vom 15. März 2012, er erinnere sich noch sehr gut an jenen Moment im Jahr 2007, als der Kommandeur seines Bataillons den Raum betrat, um die neuen Einsatzbefehle bekanntzugeben. Wortwörtlich habe er gesagt: »Achtung, ab sofort gilt als neues SOP (Standardeinsatzverfahren) des Bataillons: Wenn Ihr Konvoi von einer IED (Sprengfalle, d. Red.) getroffen wird, erwarte ich 360 Grad Dauerfeuer. Sie töten jeden Motherfucker auf der Straße!«
McCord beschreibt, daß er und die meisten im Raum nicht glauben wollten, was sie gerade gehört hatten. Jedoch habe niemand widersprochen, sondern nach individuellen Auswegen gesucht, nicht auf unschuldige Zivilisten schießen zu müssen. Manche hätten deshalb ihre Waffen auf Dächer oder unbesetzte Autos abgefeuert, um nicht wegen Befehlsverweigerung belangt zu werden. Durch das Wikileaks-Video »Kollateraler Mord« hätten »amerikanische Bürger und Menschen überall auf der Welt« endlich »einen Geschmack von dieser SOP bekommen«. McCord selbst fühlt sich mitverantwortlich für diese Greueltat. Er habe sich dann jedoch den Befehlen widersetzt und die beiden Kinder aus dem Kleinbus geborgen. Lange nach Veröffentlichung des Videos habe er die Kinder im Fernsehen wiedergesehen. »Sie hatten ihren Vater verloren, aber überlebt.«
Gegen diejenigen, die das Videomaterial in den Archiven des US-Militärs verschwinden lassen wollten, müsse strafrechtlich ermittelt werden, schreibt McCord in seiner Erklärung. »Aber wer immer es an die Öffentlichkeit gebracht hat, ist in meinen Augen ein Held.«
Bradley Manning sei nun seit fast zwei Jahren inhaftiert, weil ihm vorgeworfen wird, das Videomaterial und viele andere US-Dokumente an Wikileaks und so der Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu haben. Wenn Manning getan habe, was ihm vorgeworfen wird, so McCord an die Verteidigung, dann habe er es jedenfalls »aus Überzeugung und politischen Motiven« getan. Das gehe deutlich aus der überwachten Internetkommunikation hervor. Sofern die Äußerungen, die Manning zugeschrieben werden, tatsächlich von ihm stammten, so McCord weiter, habe dieser darin seine Hoffnung ausgedrückt, diese Enthüllungen würden eine »weltweite Diskussion, Debatten und Reformen« bewirken.
Deshalb mahnt Ethan McCord, »diese Politik und diese Einsatzbefehle« müßten verändert werden. »Um das tun zu können, müssen wir aber die Wahrheit über das kennen, was sich wirklich ereignet. Deswegen brauchen wir Whistleblower.« Und deswegen, so appelliert McCord am Ende seiner Erklärung, müßten sich alle für Bradley Manning einsetzen und verhindern, daß die US-Regierung ihn dafür bestraft, »daß ihr selbst die Wahrheit peinlich ist«.