Kolumne # 584 vom 3.03.2012: Buch für die Verdammten

03.03.12 (von maj) Frantz Fanon, Arzt, Philosoph, Revolutionär und Schriftsteller – ein Leben für die Unterdrückten / Am vergangen Sonntag, dem 26. Februar, erhielt Mumia Abu-Jamal in Paris den Frantz-Fanon-Preis 2012 in »Anerkennung als antikoloniale Persönlichkeit des Jahres«. Im Namen der Frantz-Fanon-Stiftung überreichte Mireille Fanon Mendès-France die Auszeichnung stellvertretend an Abu-Jamals Bruder Keith Cook.

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 54 – 3./4. März 2012

Wer nicht ein bestimmtes Alter hat, wird mit dem Namen Frantz Fanon nicht viel anfangen können. »Frantz wer…?« mögen manche fragen. Geboren wurde der schwarze Revolutionär Frantz Fanon 1925 in Fort-de-France auf der karibischen Insel Martinique, französische Kolonie seit 1635 (heute ist sie als sogenanntes französisches Überseedépartement Bestandteil Frankreichs und damit Teil der EU, d. Red.) Fanon studierte in Frankreich Medizin und Philosophie und schloß sich später der algerischen Revolution an. Er starb 1961 in den USA an Leukämie.
Fanon war ein brillanter Denker und Autor. Sein bekanntestes Buch ist »Die Verdammten dieser Erde«, dessen französische Erstveröffentlichung – »Les Damnés de la Terre« – kurz vor seinem Tod erschien. Es inspirierte schwarze Revolutionäre rund um den Globus. Sein Titel ist der ersten Zeile der Internationale, dem Kampflied der Arbeiterklasse, entlehnt.
1953 ging Fanon nach Algerien und arbeitete als Arzt im Psychiatrischen Krankenhaus von Blida-Joinville. Dabei setzte er sich jedoch deutlich ab von der Praxis seiner dort tätigen französischen Kollegen, die einheimische Hausmeister und Bedienstete dafür einsetzten, zwischen ihnen und ihren Arabisch sprechenden algerischen Patienten zu übersetzen. Fanon fand das unerträglich und lernte Arabisch, um selbst mit seinen Patienten reden zu können. Darüber waren seine französischen Kollegen derart aufgebracht, daß sie ihn fortan »Doktor Nigger« schimpften.
Fanon schloß sich den Kräften der algerischen Revolution an und arbeitete bis zum Umfallen, um der gemeinsamen Sache zu dienen. Er behandelte algerische Freiheitskämpfer, die von der französischen Kolonialarmee gefoltert worden waren. Er versteckte Waffen und Revolutionäre und trainierte letztere darin, der Folter zu widerstehen.
Fanon bereitete den Weg für die Veröffentlichung von Periodika des revolutionären Nationalismus und wurde selbst zum Herausgeber. Bis heute sind seine Artikel eine Informationsquelle für die afrikanischen Befreiungskämpfe, und sie bereichern immer noch die Diskussionen um Fragen des Widerstandes gegen den Neokolonialismus. Das zeigte sich schon früh an den wachsenden Auflagen seines Hauptwerks »Die Verdammten dieser Erde«. 1967 wurden davon etwa 30 000 Stück verkauft, doch schon zwölf Monate später lag die verkaufte Jahresauflage bei 150 000 Exemplaren. In den USA war das Buch Pflichtlektüre für die Mitglieder der Black Panther Party. Als ich es zum ersten Mal las, war ich 15 Jahre alt. Auch wenn ich als Teenager noch nicht alle Nuancen erfassen konnte, begriff ich seinen klaren Antikolonialismus. Es zeigte mir die Entschlossenheit der algerischen Revolutionäre und des algerischen Volkes, die ausländischen Kolonialisten zu bekämpfen, deren ungehemmte Brutalität und Grausamkeit, deren offenen Rassismus und deren ausbeuterischen Geist, mit dem sie das Volk, seine Kultur, Geschichte, Religion und sein nationales Selbstbewußtsein zermalmen wollten. In seiner Analyse zeigte Fanon auf, daß das französische »Mutterland« wie Europa insgesamt an einem Wahn leidet, nämlich an einer tiefsitzenden Xenophobie seiner politischen, ökonomischen und militärischen Eliten. Daß sie überschäumen vor Rassismus und Habgier und ihre Machtspiele mittels Gewalt, Folter und Terror verteidigen.

(Übersetzung: Jürgen Heiser)


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Stand: 23.11.2024 um 14:30:00 Uhr