Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 48 – 25./26. Februar 2012
Vielen von uns sagen die Namen fremder Länder und Persönlichkeiten nichts. Phnom Penh? Sri Lanka? Prinz Bandar bin Sultan bin Abdul Aziz Al Saud? Was oder wer soll das sein? fragen wir uns, wenn sie über unsere Bildschirme flimmern oder aus Radios tönen. »Ausländerkram«, murmeln wir vor uns hin und versuchen wieder abzutauchen in die kleine Welt unseres geplatzten amerikanischen Traums.
Die meisten US-Zeitungen haben ihre Auslandsredaktionen längst geschlossen. »Viel zu teuer!« stöhnen die Chefredakteure. Und dieser Trend setzte sich selbst in Kriegszeiten fort, einst der sicherste Weg, US-Amerikaner wieder für die Außenpolitik zu interessieren. Aber es gibt auch noch andere Möglichkeiten, wie uns ein junger indisch-amerikanischer Historiker und Politikwissenschaftler für Internationale Studien zeigt. Vijay Prashad hat schon 2007 ein nützliches, lesbares und fesselndes Buch über die Kämpfe der Völker jener Weltregionen vorgelegt, über die in den USA große Wissenslücken vorherrschen.
Unter dem Titel »The Darker Nations: A People’s History of the Third World« (Die dunkleren Nationen: Eine Geschichte der Völker der Dritten Welt) beschreibt Prashad, wie sich die Völker Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und der Karibik in der Zeit des Kalten Krieges vom Joch des Kolonialismus befreiten und sich den Herausforderungen ihrer neugewonnenen Unabhängigkeit stellten. Wer jedoch glaubt, sich hier in fremde Welten flüchten oder seine Neugier an Intrigen und Ränkespiel neuer Machteliten befriedigen zu können, der sollte seine Finger von diesem Buch lassen (selbst wenn es darin auch um einige Intrigen geht).
Leicht verständlich geschrieben, nimmt uns Prashads Buch mit auf eine Reise durch das 20. Jahrhundert. Der Autor setzt dabei ferne Städte als Ausgangspunkte und illustriert, wie stark die Hoffnungen der dort lebenden Völker auf grundlegende Veränderungen waren und wie sie von den Herren des Geldes aus dem Westen – allen voran die USA – zerschmettert wurden.
Wenn man wissen will, warum weite Teile der Welt so sind wie sind, bietet Prashad eine verdammt gute Einführung in Erklärungsversuche. Aufgereiht wie Perlen auf einer Kette zeigt er, wie Stadt für Stadt, Land für Land unerbittlich in die globalen Verstrickungen von Gier und Habsucht hineingezogen wurden. Es wäre irreführend zu behaupten, daß alle widrigen Winde nur von West nach Ost oder von Nord nach Süd bliesen. Der Autor beschreibt detailgenau, wie einheimische bourgeoise Klassen in praktisch jedem Land gemeinsame Sache machten mit ihren westlichen Partnern, um sich persönlich oder ihre Familien zu bereichern, während ihre Völker hungern. Unter dem Druck von Weltwährungsfond (IWF) und Weltbank geraten sie in die Falle der »Strukturanpassungsprogramme«, in deren Folge es zu Tragödien von nahezu Shakespearschen Ausmaßen kommt.
Prashad bietet uns Momente erfreulicher Entdeckungen, die zeigen, wie wundervoll bzw. schrecklich diese Welt sein kann, von der wir dachten, daß wir sie kennen. So berichtet er in seinem Kairo-Kapitel über die heroischen und militanten Kämpfe ägyptischer Frauen im Jahr 1919. Diese Frauen unterbrachen Eisenbahnverbindungen und stürmten Gefängnisse – bis britische Truppen sich gefechtsklar machten und sie über den Haufen schossen. Wer wäre bei diesen Schilderungen nicht an den sogenannten arabischen Frühling der Gegenwart erinnert?
Die Qualität von Geschichtsbüchern bemißt sich nicht daran, wie sie Vergangenes in unseren Köpfen wieder zum Leben erwecken, sondern daran, wie sie uns in die Lage versetzen, aus der Geschichte zu lernen, um eine bessere Vision unserer Zukunft zu gewinnen.
Übersetzung: Jürgen Heiser