Aus: junge Welt Nr. 43 – 20. Februar 2012 / Von Jürgen Heiser
Wenn das Pentagon am kommenden Donnerstag offiziell Anklage gegen den mutmaßlichen »Whistleblower« Bradley Manning erhebt, werden vor und im Verhandlungssaal des Militärgerichts von Fort Meade, Maryland, wieder zahlreiche Unterstützer des Obergefreiten der US-Armee anwesend sein. Sie vertreten eine wachsende internationale Solidaritätsbewegung, die es nicht hinnehmen will, daß Manning in dem voraussichtlich im Mai beginnenden Hauptverfahren wegen »Unterstützung des Feindes« zu lebenslanger Haft verurteilt wird, wie es die Militärführung in Washington bereits angekündigt hat. Der Tatvorwurf, Manning habe 2010 vor seiner Verhaftung in Bagdad Hunderttausende US-Dokumente aus den Kriegen in Afghanistan und Irak und aus der diplomatischen Korrespondenz des US-Außenministeriums an die Enthüllungsplattform Wikileaks weitergeleitet, wird vielerorts nicht als Straftat, sondern als Beitrag zum Frieden gewertet.
In Island wurde Manning deshalb von der Parlamentsabgeordneten Birgitta Jónsdóttir für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Jónsdóttir war wegen ihres Anliegens am vergangenen Wochenende per Videotelefon einer Konferenz an der University of California in Berkeley zugeschaltet. Unter dem Titel »Occupy the Truth: Whistleblowers Conference« behandelten die Teilnehmer von Freitag bis Sonntag in Podiumsdiskussionen und Arbeitskreisen die Themen Wahrheit, Transparenz und Zivilcourage.
Die Auftaktveranstaltung am Freitag abend war Bradley Manning gewidmet. Prominente Whistleblower wie Daniel Ellsberg, der 1971 die Pentagon-Papiere über den Vietnamkrieg veröffentlicht hatte, Ray McGovern, Ex-Agent der CIA, und Ann Wright, frühere US-Außenamtsmitarbeiterin und Kritikerin des Irak-Krieges, diskutierten den staatlichen Angriff auf Manning und riefen dazu auf, ihn durch eine breite gesellschaftliche Bewegung davor zu schützen.
Organisiert wurde die Konferenz von der Fresh Juice Party (FJP), nach eigenen Worten eine »politisch voreingenommene Mediengruppe«. Sie assoziiert mit ihrem Namen das Bild von frischgepreßtem Saft, weil sie einen gesellschaftlichen Zustand herstellen möchte, unter dem »Information so frei fließen kann wie der Saft einer reifen Orange«, so Naomi Pitcairn, Sprecherin der FJP. Zwei Dutzend ihrer Gründungsmitglieder hatten sich am 21. April 2011 in einer denkwürdigen Aktion zusammengefunden, als sie US-Präsident Barack Obama und seine Sicherheitsleute in San Francisco auf einem Sponsoren-Frühstück für seine erneute Präsidentschaftskandidatur überraschten. Als gutbetuchte Obama-Bewunderer getarnt, gaben sie ihren »Saft« dazu und sprengten die Veranstaltung mit einem lautstark gesungenen Solidaritätslied für Bradley Manning. Auf die Frage, warum er den jungen Soldaten strafrechtlich verfolgen lasse, hatte Obama nach dem Auftritt spontan geantwortet, der Obergefreite habe »das Gesetz gebrochen«. Für die umstehenden Zeugen eine klare Vorverurteilung durch den Oberbefehlshaber der US-Armee.
Verschiedene Strömungen der Occupy-Bewegung und das bunte Spektrum der Whistleblower-Aktivisten werden von der Konferenz ausgehend stärker mit dem Bradley-Manning-Support-Network zusammenarbeiten. Das Netzwerk ruft seit Anfang Februar auf www.bradleymanning.org dazu auf, mit Blick auf das kommende Kriegsgerichtsverfahren jede Woche einen anderen Verantwortlichen aus Militär und Politik per Telefon, E-Mail oder Petition aufzufordern, die Anklage gegen Manning fallenzulassen. Die ersten beiden Adressaten waren General Michael S. Linnington von der Dienstaufsicht der Militärjustiz und US-Verteidigungsminister Leon Panetta.
Link zum Originalartikel:
http://www.jungewelt.de/2012/02-20/011.php[1]