junge Welt vom 21.01.2012 / Aus Leserbriefen an die Redaktion
Aus Gefängniszellen heraus
Es gibt unter den deutschen Konzernmedien kaum eine ohne eigene Redaktionen oder wenigstens Korrespondentenbüros in den USA. Diese wirken – je nach Interessenlage ihrer Besitzer – daran mit, das Bild der USA als globale Führungsmacht im Bewußtsein der Menschen zu verankern. Natürlich kann auch junge Welt nicht darauf verzichten, über die politischen, sozialen, wirtschaftlichen Zustände dort zu informieren. Darüber hinaus besitzt sie jedoch ein Alleinstellungsmerkmal: Sie läßt auf ihren Seiten zu Opfern der Klassenjustiz gewordene Kämpfer gegen die Allmacht des Big business der USA zu Wort kommen, gibt der Stimme des anderen Amerika Raum.
Dank der regelmäßigen Kolumnen von Mumia Abu-Jamal und der Beiträge von Kurt Stand erfahren die jW-Leser mehr über die Kämpfe der Arbeiter und Arbeitslosen, der Farbigen und Arbeitsimmigranten, als die großen Medien mit ihren Mitarbeiterstäben je vermitteln wollen. Beide Autoren arbeiten unter schwierigsten Bedingungen, aus Gefängniszellen heraus, an der Vermittlung eines realistischen Bildes der US-Gesellschaft: keinen regelmäßigen Zugang zu Medien, keinen Internetanschluß, keine eigenen Archive. Während das Spektrum von Mumias Themen breit gefächert alle Probleme der US-Gesellschaft im Visier hat, ist für den früheren Gewerkschaftsaktivisten Kurt Stand der Kampf der Gewerkschaften Ausgangspunkt seiner politischen Schlußfolgerungen. Beiden ist die Erkenntnis eigen: Die Arbeiter können diese Welt verändern, wenn sie über alle nationalen, Rassen-, Geschlechter- und ethnischen Grenzen hinweg ihre Kräfte vereinen, sich auch mit spontanen widerständigen Bewegungen wie z.B. »Occupy Wall Street« oder den Demokratiebewegungen in den arabischen Ländern vernetzen. Beide belegen durch ihre Aufsätze, daß in der US-Gesellschaft vieles faul ist, aber daß es dort auch ernstzunehmende Kräfte gibt, die die Allmacht des Kapitals zu erschüttern vermögen. (…) Die Mitarbeit von Mumia und Kurt bei der jW setzt ein Zeichen: Es gibt ein anderes Amerika als das von Wall Street, Finanz- und Industriemonopolen.
Hans Kaiser, Berlin