Aus: junge Welt Nr. 292 vom 16. Dezember / Von Jürgen Heiser
In den USA beginnt heute die gerichtliche Vorverhandlung gegen den »Whistleblower« Bradley Manning. Dazu tritt in Fort Meade, Maryland, unweit der Hauptstadt Washington D.C., ein Militärgericht zusammen. Laut Pentagon soll der Obergefreite als Nachrichtenanalyst der US-Armee in Bagdad Tausende interne Verschlußsachen aus den Kriegen in Irak und Afghanistan an die Enthüllungsplattform Wikileaks weitergegeben haben. Darunter Videomaterial einer Hubschrauberbesatzung der US-Armee, das die gezielte Tötung einer Gruppe von Zivilpersonen in Bagdad am 12. Juli 2007 zeigt. Im April 2010 hatte Wikileaks das Video unter dem Titel »Kollateraler Mord« veröffentlicht und die US-Regierung in Erklärungsnot gebracht. Kurz darauf war Manning verhaftet worden.
Mit der Weitergabe des Materials soll der damalige Obergefreite »Geheimnisverrat« begangen und »den Feind unterstützt« haben. Manning stehe hingegen unter Anklage, so seine Unterstützer, weil er die Wahrheit über Kriegsverbrechen an die Öffentlichkeit gebracht habe. Schon an seinen Haftbedingungen zeige sich eine Vorverurteilung. Neun Monate lang war er völlig isoliert und von der Außenwelt abgeschirmt. Erst internationale Proteste und Interventionen von Amnesty International sowie des UN-Sonderberichterstatters für Folter, Juan Méndez, bewirkten eine Lockerung der rigiden Haftbedingungen.
Die richterliche Anhörung ist zunächst auf fünf Tage angesetzt. Sie ist öffentlich, soweit nicht über Dokumente verhandelt wird, die als geheim eingestuft sind. Es soll geprüft werden, ob die gegen Manning vorgebrachten Beweise zur Eröffnung eines Militärgerichtsverfahrens ausreichen. Nach Meinung seiner Ankläger drohen ihm dann lebenslange Haft, Degradierung und unehrenhafte Entlassung aus der Armee.
Vergangene Woche hat Mannings Hauptverteidiger David Coombs eine Liste von 48 Zeugen vorgelegt, die er vorladen wird. Neben zwei Sanitätsoffizieren, die zu den folterähnlichen Isolationshaftbedingungen aussagen sollen, denen sein Mandant auf der Quantico-Marinebasis unterworfen war, will Coombs auch hochrangige Politiker in den Zeugenstand rufen. Darunter US-Präsident Barack Obama, Außenministerin Hillary Clinton und Exverteidigungsminister Robert Gates.
Obama werde aussagen, so Coombs, daß er bei Amtsantritt seine Regierung auf »einen beispiellosen Grad der Offenheit« und die Errichtung »eines Systems der Transparenz und öffentlichen Teilhabe« verpflichten wollte. Tatsächlich sei aber eine übermäßige und durch kein legitimes Sicherheitsinteresse gerechtfertigte Geheimhaltung praktiziert worden, durch die erst die Verfolgung seines Mandanten möglich wurde. Anwalt Coombs will den US-Präsidenten vor allem zu der Frage vernehmen, ob er als Oberbefehlshaber der US-Armee »ungesetzlichen Einfluß« auf das Verfahren genommen hat, als er am 21. April 2011 auf einer Veranstaltung in San Francisco erklärte: »Er [Manning] hat das Gesetz gebrochen«. Coombs sieht seinen Mandanten dadurch vorverurteilt und sein Recht auf einen fairen Prozeß verletzt. Das Verfahren müsse deshalb eingestellt werden.
Die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) und die Juristinnen und Juristen gegen atomare, chemische und biologische Waffen (IALANA) wollen Bradley Mannings Verteidigung finanziell unterstützen. Für den morgigen Samstag, Mannings 24. Geburtstag, hat das »Bradley Manning Support Network« einen internationalen Ak-tionstag ausgerufen.