Aus: junge Welt Nr. 222 – 23. September 2011 / jW-Kommentar von Jürgen Heiser
Troy Davis ist tot. Selbst wenn seine Unschuld nachträglich nicht mehr geleugnet werden könnte – wie in den Fällen der rehabilitierten politischen Justizopfer Sacco und Vanzetti oder in den mit Troy Davis vergleichbaren Fällen vermeintlich »unpolitischer« Angeklagter – das geschehene Unrecht wäre nie wieder gutzumachen. Aber das Verbrechen, für das er hingerichtet wurde, wird nicht mehr aufgeklärt werden. Die Täter, Richter und Staatsanwälte, die ihn umbringen ließen, werden unbehelligt bleiben. Es ging nicht um Gerechtigkeit. Es ging darum, daß der Delinquent ins Schema passen mußte: Weißes Opfer – schwarzer Täter.
Genau hier zeigt sich, warum auch Davis’ Fall, wie jene Fälle vieler anderer Afroamerikaner vor der US-Justiz, nicht »unpolitisch« ist. Denn wo Rassismus herrscht, wie im modern gewendeten Apartheidsystem der USA, geht es um Politik: Über 90 Prozent der Todesurteile werden im Süden der USA – dem schwarzen Gürtel – vollstreckt, 60 Prozent allein in Texas, Louisiana, Florida und Georgia. 42 Prozent der zum Tode Verurteilten sind Afroamerikaner, bei einem Bevölkerungsanteil von 12,8 Prozent. In den vergangenen 50 Jahren wurden nur zwei Weiße wegen der Tötung eines Schwarzen hingerichtet.
Macht kam in der Geschichte und Außenpolitik der USA immer aus den Gewehrläufen. So ist es bis heute. Wenn die Gewalt der Verhältnisse ein Land derart prägt, wäre es ein furchtbarer Irrtum anzunehmen, es handele sich bei einem so ignoranten Fehlurteil wie dem gegen Troy Davis und der langen Liste der Justizmorde in der Geschichte der USA nur um »Ausrutscher«.
Das System der Todesstrafe ist seit seiner Entstehung aus den Lynchmorden vergangener Zeiten zutiefst rassistisch. Es muß völlig abgeschafft werden. Je mehr das US-Imperium unter seiner politischen und wirtschaftlichen Krise wankt, desto deutlicher tritt seine Gewalt an den Haupttrennlinien von Klasse und »Rasse« zutage. Rick Perry, Gouverneur von Texas, will nächster Präsidentschaftskandidat der Republikaner werden und stellt die mehr als 240 Hinrichtungen unter seiner Amtsführung als Pluspunkt für die »Zukunft Amerikas« heraus. Ihm und seiner politischen Klasse, die einen wehrlosen Gefangenen trotz Unschuldsbeweisen vor den entsetzten Augen der Welt hinrichten ließen, ist mit bloßen Reformforderungen nicht beizukommen. Barack Obamas Amtszeit zeigt genau das.
Troy Davis hat dazu ein klares Vermächtnis hinterlassen: »Der Kampf zur Abschaffung der Todesstrafe wird durch mich nicht gewonnen oder verloren, sondern durch unsere Stärke und indem wir voranschreiten und dieses Unrechtssystem Stadt für Stadt, Staat für Staat und Land für Land beseitigen.«
Wir trauern um Troy Davis. Aber Mumia Abu-Jamal, Leonard Peltier, die Cuban Five und alle anderen Lebenden in den Isolations- und Todestrakten mahnen uns, nicht lockerzulassen und die Systemfrage zu stellen.
Link zum Originalartikel:
http://www.jungewelt.de/2011/09-23/045.php[1]