Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 205 – 3./4. September 2011
Für Journalisten ist dies eine Zeit großer Herausforderungen, wo auch immer wir uns engagieren. Grund dafür ist der ökonomische Druck, erzeugt von den Kräften der Globalisierung und kapitalistischen Verwertung, die an unsere Türen hämmern und alles von Wert aufkaufen wollen, um es zu privatisieren und an den Meistbietenden zu verkaufen.
Für viele kommunale und nichtkommerzielle Medien hat es genau das zur Folge, was es für die kommerziellen Medienkonzerne seit eh und je bedeutet: ihre Transformation in ein Sprachrohr des Staates und der Reichen.
Das Desaster des Irak-Krieges hat uns genau das vor Augen geführt. Um uns die ganze Dimension dieser Entwicklung vorstellen zu können, brauchen wir nur nach England zu schauen. Dort hat der Mischkonzern des Medienmoguls Rupert Murdoch mit Zeitungen wie der News Of The World jahrzehntelang praktisch den Premierminister ausgewählt und damit darüber bestimmt, welche Gesetze verabschiedet wurden und welche Sozial-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik betrieben wurde. Sie zapften Tausende Telefone an, zahlten Schmiergelder an Polizisten, um an exklusive Informationen zu kommen, und machten sich Politiker gefügig, indem sie mit der Veröffentlichung kompromittierender Informationen drohten. Tatsächlich führte also dieser Medienkonzern die Regierungsgeschäfte für seine Interessen und machte die Demokratie zur Farce.
Medienmacher der Basis haben die Aufgabe, der Demokratie eine Stimme zu geben und sie mit Leben zu füllen. Das bedeutet, zu den Massen zu gehen und ihre Stimmen hörbar zu machen. Die Stimmen der vielen Menschen, die hier und jetzt hungrig sind – hungrig trotz des Überflusses an Lebensmitteln, die aus den Regalen der Supermärkte quellen –, oder denen mit staatlicher Stütze das Maul gestopft wird, auf daß sie verstummen. Hörbar gemacht werden müssen auch die Stimmen der vielen Obdachlosen, die es in der reichsten Nation seit dem Alten Rom gibt. Und jene der Kriegsveteranen, die ohne Arme und Beine heimkehrten. Was denken sie über ihre politische »Führung«, die sie mit Lügen in einen Krieg geschickt hat?
Wenn es der Job der kommerziellen Medien ist, Ängste, Konflikte und Unwissenheit zu verbreiten, dann müssen die »Medienmacher von unten« Mut beweisen inmitten des Elends und über Kooperation, Zusammenhalt, Vielschichtigkeit und die schiere Genialität und Großartigkeit der Menschheit berichten. Und aufzeigen, daß der Krieg immer schon der »Sport der Könige« war und es bis heute geblieben ist.
Je mehr die Wirtschaft des Landes zu Boden geht, desto mehr wird die Lage der Armen, der Arbeiterklasse und derjenigen, die sich selbst bislang als Mittelklasse ansahen, ausweglos werden. Die Berichterstattung darüber kann die Größe und das Ausmaß dieser Ausweglosigkeit aufzeigen und allen die Augen öffnen.
Die meisten Medien sind Zeitungen, aber das könnte sich ändern. Denn Zeitungen verlieren landesweit pro Jahr durchschnittlich zehn Prozent ihrer Leserschaft. Und die Fernseh-Abendnachrichten wirken auf die meisten jungen Leute nicht nur einschläfernd, sie sind für sie bedeutungslos. Natürlich bekommen diese Medien zu spüren, daß viele auf das Internet ausweichen. Aktuellen Meldungen zufolge sind Kabel- und Satelliten-Abonnements zum ersten Mal zurückgegangen, was aber vielleicht auch die wirtschaftliche Situation widerspiegelt: Die Leute drehen jeden Cent dreimal um.
Nur ein Medium wächst heute beständig – das Radio. Das National Public Radio (NPR) konnte seine Zuhörerschaft in den letzten Jahren praktisch verdoppeln, obwohl unter dem Telekommunikationsgesetz von 1996 die Deregulierung dieses Wirtschaftszweiges zu einer starken Konzentration der kommerziellen Sender geführt hat. Unter die Räder gerieten dabei auch bisherige Fairnessregeln, und für viele schwarze Radiosender bedeutete es das Ende ihrer Nachrichtensparte.
Warum das fortschrittliche Radiomacher interessieren sollte? Eine Umfrage der University of Chicago hat ergeben, daß 60 Prozent junger schwarzer Radiohörer die Musik ihres Senders überhaupt nicht mögen. Was aber wäre, wenn diese Hörer im Äther ein Programm mit Musik, Meldungen und Informationen fänden, das sie respektvoll anspräche, ihre Geschichten erzählte, ihnen eine Stimme gäbe, sich für sie einsetzte und ihnen schlicht ihre menschliche Würde zurückgäbe?
Der Grund, warum Radio funktioniert, ist ein einfacher: Es ist die menschliche Stimme, die aus dem Nichts kommt, Geschichten erzählt und Menschen mit Menschen verbindet.
Übersetzung: Jürgen Heiser
Diese Kolumne ist ein leicht gekürzter Beitrag für eine Basiskonferenz von Radiomachern in Kansas City am 19.08.2011 (Aus Platzgründen mußte der Beitrag für die Veröffentlichung in junge Welt noch um zwei Absätze zusätzlich gekürzt werden, die hier wieder eingefügt wurden.)