Aus: »Schwerpunkt« junge Welt Nr. 166 – 20. Juli 2011 /
Von Jürgen Heiser
Der Hungerstreik in den kalifornischen Staatsgefängnissen geht am Freitag in seine vierte Woche. Ende letzter Woche erhielten die Gefangenen des Pelican Bay Staatsgefängnisses ein schriftliches Angebot der Gefängnisbehörde California Department of Corrections and Rehabilitation (CDCR). Für den sofortigen Streikabbruch wurde ihnen »eine umfassende Begutachtung des bestehenden Regelwerks und Verfahrens« bezüglich der SHU-Isolationstrakte (Security Housing Units) in Aussicht gestellt. Angaben darüber, ob die von ihnen geforderten Verbesserungen ihrer Haftsituation umgesetzt würden, suchten die Hungerstreikenden vergeblich in dem Schreiben. Deshalb wiesen die Streikführer das Ansinnen einstimmig zurück und erklärten, der Streik werde fortgesetzt.
Während das CDCR eine »medizinische Krise« leugnet, haben viele der seit 1. Juli streikenden Häftlinge bereits bis zu 15 Kilo an Gewicht verloren. Nach Angaben des Solidaritätsbündnisses für die Hungerstreikenden in Oakland wurden Dutzende Gefangene wegen Herzrhythmusstörungen oder Bewußtlosigkeit auf die Krankenstation verlegt. In weiten Teilen der USA und vor allem Kaliforniens herrscht derzeit eine extreme Hitzewelle, die bei den Streikenden zu starker Dehydrierung führt. Am Montag zogen Angehörige, Anwälte und Unterstützer der Gefangenen vor das CDCR-Gebäude in Sacramento und forderten die Behörde zum sofortigen Handeln auf.
Carol Strickman vom Mediatorenteam (siehe Interview) kritisierte, es sei »äußerst beunruhigend«, daß die Gefängnisbehörde kein substantielles Angebot in Hinblick auf die Hauptforderung der Streikenden gemacht habe, die Langzeitisolierung zu beenden. »Manche dieser Männer sind seit 20 oder mehr Jahren im SHU-Trakt und tragen schwere gesundheitliche Schäden davon, weil sie 23,5 Stunden pro Tag in einer Betonzelle von 1,80 mal drei Meter eingesperrt sind.« Die Häftlinge würden nicht mehr als die Einhaltung grundlegender Menschenrechte fordern, so Strickman.
Tausende Gefangene lehnen weiterhin das Anstaltsessen ab. Neben Pelican Bay wird in den Haftanstalten von Tehachapi, Corcoran, Centinela, Calipatria, RJ Donovan, San Quentin und Folsom gestreikt. Gesichert ist auch die Information, daß sich Insassinnen des Valley State Frauengefängnisses dem Protest angeschlossen haben.
Die Ursachen für die unerträglichen Haftbedingungen haben System im »gefängnisindustriellen Komplex« der USA. Streik- und Protestaktionen der Insassen sind deshalb an der Tagesordnung. Der letzte große Streik fand im Dezember 2010 im Südstaat Georgia statt. Tausende Gefangene weigerten sich, ihre Zellen zu verlassen und zu arbeiten. Auch sie verlangten nur die Achtung ihrer minimalen Rechte: Zugang zu Ausbildungsmöglichkeiten, faire Bewährungsverhandlungen, angemessene medizinische Versorgung, nahrhafte Mahlzeiten, Entlohnung ihrer Arbeit und ein Ende aller grausamen Zusatzstrafen. Die offizielle Antwort: Prügel, Zwangsverlegungen und Isolationshaft.
Im internationalen Vergleich leben in den USA nur etwa fünf Prozent der Weltbevölkerung, aber 24 Prozent aller Gefängnisinsassen der Welt sitzen in US-Haftanstalten. Von hundert US-Bürgern sitzt einer in Untersuchungs- oder Strafhaft oder im Todestrakt. Waren 1968 noch 200 000 Männer und Frauen eingesperrt, so stieg die Zahl bis 2008 auf 2,3 Millionen an. Überproportional sind dabei nichtweiße Gefangene vertreten.
Schon nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg richteten die ehemaligen Sklavenhalterstaaten im Süden der USA ein Gefangenenmietsystem ein. Das erlaubte den Mächtigen und Wohlhabenden, die »freie« schwarze Arbeitskraft auch ohne Sklaverei weiter auszubeuten. Washington gab seinen Segen dazu.
Derzeit befinden sich allein über eine Million afroamerikanische Männer und Frauen im »gefängnisindustriellen Komplex«. Der Begriff umschreibt, daß es sich dabei um einen beständig wachsenden Wirtschaftszweig handelt, in dem Arbeitszwang für alle herrscht. Zunehmend lassen Industrie und US-Armee in den Knastfabriken produzieren. Konzerne und Privatgefängnisindustrie machen Milliardengewinne mit der Zwangsarbeit der Inhaftierten. Ein lukrativer »Billiglohnsektor« im eigenen Land, kein Ärger mit gewerkschaftlich organisierten Werktätigen oder unkalkulierbaren Veränderungen in den üblichen Billiglohnländern. Da mag es kaum verwundern, daß die US-Gerichte gerade junge Angeklagte im besten Arbeitsalter für geringfügige Delikte zu immer längeren Haftstrafen verurteilen.
Für die renitenten und nichtintegrierbaren Gefangenen hält dieses System Sondergefängnisse wie Pelican Bay und seine Isolationstrakte bereit. In der US-Wirtschafts- und Haushaltskrise rüttelt der Streik der Gefangenen in Kalifornien deshalb an den Grundfesten des Herrschaftssystems.
prisonerhungerstrikesolidarity.wordpress.com
Hintergrund: US-Privatgefängnisse
Der Ursprung der Privatgefängnisse, wie es sie zunehmend auch in Europa gibt, liegt in den USA. Dort wurden die ersten von Privatfirmen geführten Strafanstalten 1984 eröffnet. Fortan erlebte dieser Wirtschaftssektor einen gigantischen Aufschwung. Nach nur 20 Jahren waren 163 Haftanstalten und damit rund 8,5 Prozent der Gefängnisplätze in den USA in privater Hand. Die Rentabilität eines Privatgefängnisses steigt mit der Zahl der Häftlinge: 55 US-Dollar ist der vertraglich geregelte Durchschnittstarif pro Häftling und Tag, den die Justizbehörden der US-Bundesstaaten an die privaten Betreiber zahlen.
Dieser Wirtschaftssektor wird von zwei Konzernen dominiert. Die Corrections Corporation of America (CCA) wurde 1983 in in Nashville, Tennessee, gegründet und betreibt in 19 Bundesstaaten 63 Strafvollzugsanstalten mit insgesamt 85000 Haftplätzen. CCA definiert sich als das »viertgrößte Unternehmen auf dem Sektor des amerikanischen Strafvollzugs, direkt hinter der US-Regierung und zwei Bundesstaaten«. Am 31. Dezember 2009 belief sich der Nettogewinn der CCA auf 155 Millionen US-Dollar bei einem Umsatz von 1,58 Milliarden Dollar. Die CCA wird seit 1994 an der New York Stock Exchange gehandelt.
CCA leistet seit einigen Jahren auch Pionierarbeit bei der Ersetzung der Sozialarbeit durch Missionierung. Im April 2003 starteten die »Soldaten Christi« der Champions For Life (CFL) in allen CCA-Gefängnissen »glaubensgestützte Programme«, weitere religiöse Gruppen folgten.
Das zweite führende Unternehmen im Bereich privater Haftanstalten ist die GEO Group (ehemals Wackenhut Correction Corporation), ein 1984 gegründeter Konzern, der von Florida aus 61 Haftanstalten in 13 US-Bundesstaaten mit insgesamt 60000 Plätzen und 13000 Angestellten betreibt. Das Unternehmen bezeichnet sich als »weltweit führend auf dem Gebiet der Strafvollzugsdienstleistungen«. Auslandsniederlassungen von GEO gibt es auf fast allen Kontinenten: Seit 1991 ist der Konzern in Australien tätig, seit 1994 in Großbritannien, seit 1999 in Südafrika und in Kanada. GEO gab für 2008 einen Nettogewinn in Höhe von 58,9 Millionen US-Dollar an.
Jürgen Heiser
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