Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 157 – 9./10. Juli 2011
Normalerweise läuft es in den USA so: Wenn ein Expräsident öffentlich das Wort ergreift, dann zollt die Nation ihm Respekt und hört ihm aufmerksam zu. Es hängt natürlich ganz davon ab, was er sagt oder schreibt, aber dieser Respekt gehört hier zum guten Ton. Das hängt mit dem hohen Ansehen zusammen, das Präsidenten in den USA genießen.
Offensichtlich ist es jedoch damit vorbei, denn als das frühere Staatsoberhaupt Jimmy Carter am 16. Juni 2011 in einem von ihm verfaßten Artikel in der New York Times »Beendet den Krieg gegen die Drogen« forderte und ihn als »Fehlschlag« bezeichnete, berichteten darüber vor allem die Radioprogramme, aber nur sehr wenige Fernsehsender fanden Carters Gedanken eine Nachricht wert.
Sicher haben die Nachwirkungen der landesweiten Aufregung um »Weinergate« dabei noch eine Rolle gespielt – der Skandal um den republikanischen Abgeordneten und New Yorker Bürgermeisterkandidaten Anthony Weiner, der sich im Internet angeblich mit einer Erektion zeigte. Aber ein Medienestablishment, das nach Sensationen giert, schätzt auch den medial verwertbaren Ausfluß des Drogenkrieges: Gewalt, Geld und Massenfaszination. Das sorgt für hohe Auflagen und Einschaltquoten.
In Mexiko haben die Drogen den Staat durch Gewalt, Korruption und einen gigantischen Geldfluß zerstört. Sollte jemand Zweifel an dieser Aussage haben, dann sei ihm das im Juni erschienene Buch »To Die in Mexico – Dispatches from Inside the Drug War« (Sterben in Mexiko – Innenansichten des Drogenkriegs) von John Gibler zur Lektüre empfohlen.
Gibler, der sowohl in Mexiko als auch in Kalifornien lebt und arbeitet, führte in verschiedenen Landesteilen Mexikos Gespräche mit Journalisten. Er begleitete sie, wenn sie »Todesanrufe« erhielten und sich an die Orte begaben, an denen wieder Leichen gefunden worden waren. Und das geschah verdammt oft.
In seinem Buch enthüllt Gibler das Innenleben einer Nation, die von ihren höchsten bis hinunter zu ihren niedrigsten gesellschaftlichen Rängen durch und durch korrupt ist, und in der die Drogenkartelle Staatsdiener anheuern, die für sie die Drecksarbeit erledigen.
Was die Medien betrifft, sprach ein Journalist namens Javier Valdes Pardinas offen über die Lage in den Zeitungen in Culiacán: »Die Narcos kontrollieren die Nachrichtenredaktionen.«
»Narcos« ist die Kurzform für mächtige und vermögende Drogenkartelle, in deren Besitz sich praktisch Polizeibehörden, Bürgermeister, Gouverneure und die Nationalversammlung befinden und einigen Berichten zufolge sogar der Präsident des Landes. Und wer nicht bereit ist, sich kaufen zu lassen, der wird kaltgemacht.
Interessanterweise wurde das berüchtigste Kartell des Landes, die Zetas, benannt nach dem spanischen Buchstaben »Z«, ursprünglich von in den USA ausgebildeten Polizisten und Militärs gegründet, die sich gegen Bezahlung dem Sinaloa-Kartell andienten. Als sie es jedoch leid waren, für andere zu arbeiten, formten sie ihr eigenes Drogenimperium. Ihr Einfluß reicht heute in alle Bereiche der mexikanischen Gesellschaft, in der sie eine Atmosphäre der Angst und des Schweigens erzeugt haben. Einfach ausgedrückt: Das gesellschaftliche Leben Mexikos stirbt durch die Drogenkriege. Überall und in allen Aspekten ist der staatliche Krieg gegen die Drogen ein Fehlschlag von kolossalen Ausmaßen. Und so wie dieser Krieg in Mexiko fehlgeschlagen ist, scheitert er auch hier in den USA.
Übersetzung: Jürgen Heiser