Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 117 – 21./22. Mai 2011
Halten durchschnittliche US-Amerikaner eigentlich hin und wieder inne und fragen sich angesichts der chaotischen Zustände in der Welt, wie wir an diesen Punkt kommen konnten? Tun sie es vielleicht achselzuckend als Schicksal ab, schieben den Gedanken beiseite und fahren fort mit ihren Einkäufen in der Ladenpassage? Oder halten sie es für einen aktuellen Ausdruck der biblischen Prophezeiungen, in denen es heißt: »Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei« (Matthäus 24,6) und wenden sich dann wieder dem nächsten Spiel auf dem Sportkanal zu, um ihre Zweifel, Angst und Schrecken im Nebel des Verdrängens versinken zu lassen?
Seitdem die Wehrpflicht in den USA 1973 ausgesetzt wurde, sind die imperialen Kriege für viele US-Bürger so weit entfernt wie der Mars. Schlachten, Bombardements, Tod und abgerissene Gliedmaßen können mühelos weggedrückt werden wie ein schlechtes Fernsehprogramm beim Zappen mit der Fernbedienung. Und dennoch sind die Folgen der Kriege sehr präsent. In jeder Wahl, egal ob kommunal oder landesweit, bekommen wir sie zu spüren: im Niedergang der Wirtschaft, in der Zerrüttung der Schulen, in der unredlichen Rhetorik der Politiker, die nach ihrer Amtsübernahme nie halten, was sie im Wahlkampf versprechen.
Durch das Töten, Verstümmeln, Vergiften und Morden in den Kriegseinsätzen werden die heute existierenden Katastrophen schon morgen in weitaus schlimmere verwandelt. Bei den Wahlen stimmen wir für das, was wir uns erhoffen, aber die Politiker fühlen sich stets nur der Rüstungsindustrie verpflichtet. Neues Geld fließt in die Todesmaschinerie, während die Städte am Boden liegen, Schulen und Krankenhäuser zugrunde gehen, und Gefängnisse verrotten und die Medien uns mit ihren Lügen schon in die nächsten Kriege führen.
Deshalb muß immer wieder die Frage gestellt werden, was uns an diesen Punkt gebracht hat. Jede bedeutende soziale oder politische Institution, von den Universitäten über die Medien, Kirchen bis zu den Zeitungen, hat bei der Unterstützung der imperialen Kriege und der Förderung eines verlogenen Patriotismus ihre Rolle gespielt. Sie haben das Handeln der verantwortlichen Regierungsstellen selbst dann noch akzeptiert, wenn sie die Amtsinhaber verachteten.
Wer innehält und sich ernsthaft Gedanken macht und eine neue, eine bessere Welt herbeisehnt, dem sei ein aktuelles Buch empfohlen. Es heißt »War Is A Lie« (Krieg ist eine Lüge) und wurde von David Swanson verfaßt. Es ist im Selbstverlag erschienen, brillant geschrieben, und obwohl es die Wahrheit über die derzeitigen Kriege sagt, macht es Hoffnung, daß der von Medien, Kongreß und Weißem Haus getragene militärisch-industrielle Komplex letztlich zerstört werden kann.
Übersetzung: Jürgen Heiser