Kolumne # 530 vom 19.02.2011: Arabischer Flächenbrand

19.02.11 (von maj) Nach Mubarak-Sturz: Ägyptische Bevölkerung am Anfang des Weges in eine neue Zukunft

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 42 – 19./20. Februar 2011

Die Ereignisse der letzten Wochen in Ägypten haben mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Während sich das Land insgesamt noch in einem Umbruch befindet, zeigen sich ein paar grundlegende Aspekte dieser Entwicklung schon klarer. Um nur die wichtigsten zu nennen: Erstens werden in Revolutionen nicht einfach nur Herrscher ausgewechselt, sondern Systeme verändert. Zweitens können sich Revolutionen, in denen es um die Schaffung demokratischer Verhältnisse geht, nicht mit einer Militärregierung zufriedengeben, weil sich Demokratie und Militärherrschaft auf ewig in einem Konflikt befinden. Und drittens ist der Kampf in Ägypten noch nicht zu Ende, sondern er hat gerade erst begonnen.
Der erzwungene Rücktritt von Hosni Mubarak von all seinen Ämtern war Ergebnis einer Dynamik, in der verschiedene Kräfte zusammenwirkten. Da waren zunächst die Demonstrationen in Kairo, Alexandria und anderen Städten des Landes. Hinzu kam der Druck von Seiten der Wirtschaft, die durch das Ausbleiben vollbesetzter Touristenbusse in kurzer Zeit Milliardenverluste erlitt. Dies und nicht zuletzt der offensichtliche reale Machtverlust des Regimes führten zu wachsender Besorgnis bei Teilen des Militärs, die in dem gesellschaftlichen Konflikt ein Potential für Chaos sahen, je länger er dauerte.
Mubarak war allerdings überhaupt nicht gewillt, einfach aufzugeben. Daß er zunächst Omar Suleiman zur Nummer zwei im Staate machte, wäre ihm zu anderen Zeiten als genialer Schachzug ausgelegt worden. Denn der hatte sich als Folterexperte bewährt. Seine Ernennung sollte Angst und Schrecken verbreiten und ein Signal in Richtung des Tahrir-Platzes – des Platzes der Befreiung – in Kairo aussenden. Überraschenderweise hatte diese Maßnahme aber den gegenteiligen Effekt. Sie entfachte neuen Widerstand und beschleunigte den Prozeß, der zu Mubaraks Rücktritt führte.
Wie die ägyptische und die tunesische Erfahrung zeigen, verbleibt die Macht zunächst in den Händen des Militärs. Sowohl Mubarak als auch der tunesische Präsident Ben Ali gehörten vor Übernahme ihrer Regierungsämter ihren jeweiligen Armeen an. Sie stützten ihre Macht auf militärische Gewalt, mit der sie ihre Herrschaft absicherten und die Opposition unter Kontrolle hielten. Zine El Abidine Ben Ali führte in Tunesien beide Titel, sowohl den des Präsidenten als auch den eines Generals, und Mubarak war gleichzeitig Oberbefehlshaber der Armee. Ihnen ging es nicht um Überzeugung der Bevölkerung ihrer Länder, sondern um deren gewaltsame Unterdrückung.
Auch in Ägypten wurde das Aufbegehren letztlich durch die Verzweiflungstat von Mohamed Bouazizi aus Tunesien ausgelöst, der vergeblich versucht hatte, von einem unverantwortlichen und korrupten Regime Gerechtigkeit einzufordern. Er übergoß sich dann mit Benzin und verbrannte sich öffentlich.
Bouazizi war ein junger Mann von 26 Jahren mit akademischer Ausbildung, der keine Arbeit fand. Um seine Familie ernähren zu können, fristete er sein Dasein als Obsthändler und mußte Schmiergelder an die Polizei zahlen. Die Flammen, die ihn umbrachten, entzündeten aber buchstäblich die Herzen von Millionen von Tunesiern, deren Demonstrationen wiederum Millionen von Ägyptern zur Rebellion ermutigten.
Niemand kann heute sagen, wie weit sich dieser Flächenbrand in Nord­afrika und der arabischen Welt noch ausbreiten wird. Die ägyptische Bevölkerung ist nun erwacht und in eine neue Zukunft aufgebrochen, aber sie befindet sich noch ganz am Anfang dieses langen Weges.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 23.11.2024 um 15:32:39 Uhr