Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 36 – 12./13. Februar 2011
Wenn aufmerksamen Beobachtern des aktuellen Zeitgeschehens im Verlauf der letzten Woche eines klargeworden ist, dann sicherlich die Tatsache, daß Ägypten nicht Tunesien ist. Als das Volk in Tunesien massenhaft auf die Straße ging, erkannten die Mitglieder des Klans um Präsident Zine El Abidine Ben Ali die Zeichen der Zeit, rafften in aller Eile ihr Raubgut zusammen und suchten ihr Heil in der Flucht.
Ägyptens Staats- und Ministerpräsident Hosni Mubarak hingegen ist kein Mann vom Schlage des Tunesiers Ben Ali. Als früherer General ist Mubarak ein Emporkömmling der ägyptischen Militärkaste. Wie die herrschenden Militärs in Pakistan, einem anderen engen Verbündeten des reichsten Landes der Welt, so hat auch Mubarak in Ägypten ganze Kohorten seines Militärs mit großzügigen Zuwendungen belohnt, um seine von der Armee getragene Diktatur abzusichern. Die Angehörigen des Militärs wurden im Verlauf einer ganzen Generation mit US-Geldern gemästet und geschmiert, und sie wollen diese Vorteile nicht verlieren. Deshalb mußten wir mit ansehen, wie Mubaraks Schläger am hellichten Tag Demonstranten zusammenschlugen, Molotowcocktails auf unbewaffnete Zivilisten warfen und Journalisten terrorisierten. Sie wollen nicht, daß der Bakschischfluß versiegt. Und woraus rekrutierten sich diese Schlägertruppen? Vornehmlich aus Polizisten, die ihre Uniformen abgelegt haben.
Ägyptens Problem ist nicht ein einzelner Diktator. Es ist die Diktatur insgesamt, ein System aus Repression und Terrorismus, das über Jahrzehnte von den USA gestützt wurde. Warum wohl ist diese Armee so stark? Etwa, um gegen Israel zu kämpfen? Gegen Libyen? Oder Sudan? Mitnichten. Das ägyptische Militär ist so hochgerüstet, weil es das Volk in Schach halten und in Furcht und Schrecken versetzen soll. Die Armee ist nicht zum Schutz der Bevölkerung da, sie ist ein Instrument Mubaraks und jener, die ihn und sein Regime finanzieren. In einem Artikel des US-Magazins Newsweek wurden die Verbündeten der USA im Nahen Osten kürzlich als »Mafiastaaten« bezeichnet, in denen es nur darum gehe, daß sich die Herrscherdynastien bereichern und den Interessen des US-Imperiums dienten. Das Volk sei reine Nebensache, bestenfalls Mittel zum Zweck.
Wenn es stimmt, daß diese Länder Mafiastaaten sind, dann steht logischerweise die unbeantwortete Frage im Raum: Wer ist der Pate? Folglich trifft diese journalistische Bewertung, so reizvoll sie klingen mag, den Nagel nicht auf den Kopf. Diese Regimes sind vielmehr Vampirstaaten, die ihren Völkern das Blut aussaugen und ihnen ihr Leben, ihre Seele und ihre Träume rauben. Sie sind Parasitenstaaten, überlebte Relikte einer längst vergangenen Zeit. Deshalb müssen sie auch mit aller Kraft bekämpft werden, damit am Horizont der arabischen Welt endlich wieder die Morgenröte der Freiheit aufzieht.
Übersetzung: Jürgen Heiser