Der am 14. Juni 1934 geborene Peter O. Chotjewitz war eine der herausragenden Persönlichkeiten der BRD, die sich im Nachkriegdeutschland-West mutig gegen die Verstaatlichung des Menschen und seine öffentliche Sicherungsverwahrung im normierten Alltag gewehrt haben.
Er hat dabei vor allem die nicht vergessen, die staatliche Repression am stärksten erfahren: die politischen Gefangenen. Er hat auch seinen US-Kollegen Mumia Abu-Jamal unterstützt und war Mitglied des von Angela Y. Davis und Rechtsanwalt Robert R. Bryan 2006 mitbegründeten Internationalen Komitees zur Abschaffung der Todesstrafe (siehe http://www.freedom-now.de/news/artikel322.html).
Wer den Nachruf eines engen Freundes von Peter O. Chotjewitz lesen möchte, dem sei jener von Ambros Waibel empfohlen, der am 17. Dezember 2010 in der Tageszeitung junge Welt erschienen ist (Anklicken![1]).
An dieser Stelle soll des Kollegen und Genossen Chotjewitz gedacht werden, indem eine Rezension über sein letztes großes Werk »Mein Freund Klaus« veröffentlicht wird. Aufgrund widriger Umstände hat diese Rezension 2007 nicht den Weg in die Öffentlichkeit gefunden. Sie soll hier dokumentiert werden, weil Peter O. Chotjewitz mit diesem Werk nicht nur seinen Freund Klaus Croissant dem Vergessen entrissen hat, sondern uns darin auch Spuren seiner eigenen Geschichte hinterließ.
»HEIMATLOS SOLANGE, BIS MAN SICH EINEN ORT ERKÄMPFT HAT, WO EINEM KEINER DEN STIEFEL INS GENICK SETZEN KANN«
Peter O. Chotjewitz hat ein Buch über Rechtsanwalt Klaus Croissant geschrieben
Von Jürgen Heiser (geschrieben im Oktober 2007)
Der Schriftsteller und Jurist Peter O. Chotjewitz legt mit dem Titel »Mein Freund Klaus« ein Buch vor, das längst überfällig ist.
30 Jahre nach dem Tod von vier der fünf Stammheimer Gefangenen aus der RAF, deren Verteidiger Klaus Croissant war, holt der Autor eine Tatsache ins Bewußtsein zurück, die bei den Rückblenden auf die Ereignisse im Herbst 1977 eher nebenbei abgehandelt wird. Die Tatsache nämlich, dass zu diesem Zeitpunkt nicht nur der massivste Eingriff in die Verteidigerrechte in der deutschen Nachkriegsgeschichte durch außergesetzliche Maßnahmen und mit hohem Tempo durchgepeitschte Gesetzesverschärfungen stattgefunden hat, sondern dass zudem jeder Jurist, der die Verteidigung dieser politischen Gefangenen übernahm, in den Verdacht der »Mittäterschaft« geriet. Und daß jeder als »Sympathisant« eingestuft wurde, der diese legale Arbeit der Anwälte anerkannte oder gar selbst gegen die Isolationshaft an politischen Gefangenen eintrat.
Chotjewitz schreibt über Rechtsanwalt Klaus Croissant, Doktor der Rechtswissenschaften, unversöhnlicher Antifaschist und selbstloser Kämpfer für die Rechte der Gefangenen: »Seine unpopuläre These war, dass auch Gefangene aus der RAF Anspruch auf rechtsstaatliche Behandlung hätten.«
Ein Lehrbuch über die gesellschaftliche Verfaßtheit der BRD
Chotjewitz' Buch wird auf dem Buchumschlag als »Roman« vorgestellt. Glücklicherweise ist das Buch aber alles andere als das. Es ist ein Geschichts- und Tagebuch, eine Anekdoten- und Aphorismensammlung, eine Biographie und ein Enthüllungsbuch. Es ist eine faktenreiche Entgegnung auf alle, die bis heute leichtfertig behaupten, dass die Stammheimer Gefangenen Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe, Andreas Baader und Ingrid Schubert 1976 und 1977 im 7. Stock des Hochsicherheitsgefängnisses Stammheim durch »Selbstmord« gestorben sind. »Leichtfertig« deshalb, weil bis heute keine gewissenhafte Untersuchung stattgefunden hat, die auf Unvoreingenommenheit und rechtsstaatlichen Prinzipien basieren würde.
Dieser 570 Seiten starke Text ist vor allem wegen der zum Teil detaillierten Beschreibung ungeklärter Vorgänge um die Bekämpfung der Stadtguerilla durch die westdeutsche Staatssicherheit ein Lehrbuch über die damalige und heutige Verfaßtheit der Bundesrepublik Deutschland. Denn die Staatsräson gebietet bis heute, dass die Datenschränke der Sicherheitsbehörden streng bewacht und versiegelt bleiben.
Chotjewitz wirft Fragen auf, die nach wie vor hochaktuell sind und zu denen weder die damaligen noch die heutigen Verantwortlichen Farbe bekennen wollen. Wie soll das auch anders sein in einem Land, das seine faschistische Vergangenheit nie wirklich aufgearbeitet hat und zuläßt, daß immer noch oder wieder »Andersartige« durch braune Banden gejagt und totgeschlagen werden?
Chotjewitz hat »drei Jahre lang recherchiert. Hundert Leute befragt. Seine [Croissants] Reden und Aufsätze gelesen. Die Haftbefehle, Anklageschriften und Urteile. Hundert Zeitungsartikel und Aufsätze über ihn«. Er hat die Orte besucht, an denen Croissant geboren wurde, an denen er gelebt und gewirkt hat. Von Kirchheim am Teck über Edenkoben, Stuttgart, Paris, Wien bis nach »Berlin und Groß-Berlin« führen die Wege und bringen den Leser immer wieder zu Menschen, aus deren Erinnerungen der Autor Fragmente eines bewegten Lebens erfragt und so Mosaikstein für Mosaikstein zusammenfügt. Das Ergebnis läßt den 2002 an den Spätfolgen eines Hirnschlages gestorbenen Protagonisten vor den Augen des Lesers oder der Leserin als Person lebendig werden. Minutiös entwickelt der Autor die Lebenslinien seines Freundes Klaus, der von Hugenotten abstammte und »heimatlos sein [wollte] solange, bis man sich einen Ort erkämpft hat, wo einem keiner den Stiefel ins Genick setzen kann«.
Einsatz für die Rechte der politischen Gefangenen
Mitte der 70er Jahre werden diese Lebenslinien zu Kampflinien. Je mehr Croissant sich zusammen mit weiteren Anwältinnen und Anwälten für die minimalen Rechte des Kollektivs der RAF-Gefangenen einsetzt, desto skrupelloser wurde er von Justiz, Politik und Medien an den Pranger gestellt, von Geheimdiensten und politischer Polizei verfolgt und an seiner Arbeit gehindert. Fast logisch erscheint es in dieser zugespitzten Auseinandersetzung, daß Croissant von der Verteidigung ausgeschlossen, dass er verhaftet und ein Bombenanschlag auf sein Büro verübt wurde. Als er sich unter dem Eindruck von Verfolgung und Bedrohung 1977 nach Paris absetzte un in Frankreich politisches Asyl beantragte, übte Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) auf die französische Regierung persönlich Druck aus, um die Auslieferung des Anwalts zu erreichen. Der Coup gelang, und Klaus Croissant saß jahrelang in deutschen Gefängnissen unter einem Isolationshaftstatut, gegen das er jahrelang gekämpft hatte. In der Folgezeit führte er diesen Kampf selbst als Gefangener mit juristischen und politischen Mitteln weiter.
Chotjewitz hat Croissant nicht nur gekannt, sondern er stand ihm sehr nahe. Aus dieser Vertrautheit vermittelt er dem Leser eine Nähe zur Person Klaus, die nur ein Freund herstellen kann. Dabei gelingt es Chotjewitz in der Tat, die Person Klaus Croissant einer »Verschmutzung« zu entziehen, mit der er den folgenden Abschnitt am Anfang seines Buches überschrieben hat.
»Verschmutzung
Natürlich, man kann die Bilder reinigen, restaurieren. Doch das gereinigte Bild bietet bestenfalls eine Vorstellung davon, wie das Original einmal ausgesehen haben könnte.
Etwas ähnliches geschieht mit den Figuren der Zeitgeschichte.
Auch ihr Bild wird verschmutzt und je mehr über sie geschrieben wird, desto schmutziger wird es, und je mehr ich mich bemühe, diesen Schmutzfilm zu entfernen, desto größer wird das Risiko, die Person zu idealisieren und dadurch abermals zu verschmutzen.
Bekanntlich betrifft dieser Vorgang alle und alles. Er ist also nicht auf meinen Freund Klaus beschränkt.
Er beruht auf einem Wahrnehmungsproblem.
Keine Biografie ist frei von den Interpretationen ihres Autors und kein Autor vermag eine Person oder ein Ereignis objektiv darzustellen.
Jeder Autor wird seine persönliche Einstellung in die Darstellung einfließen lassen.
Was Klaus angeht, so ergibt sich daraus folgendes Problem:
Es kann keine unvoreingenommenen Zeugnisse über ihn geben. Auch was er über sich selber gesagt und geschrieben hat, ist nicht frei von der Situation, in der es formuliert wurde.
Das versteht sich von selbst.
Ich kann von einem Angeklagten in einem Strafprozess und von einem Anwalt in einem politischen Verfahren nicht erwarten, dass er sich zweckfrei äußert.
Mit allem, was wir sagen und tun, nehmen wir Rücksicht auf die Situation, in der wir uns befinden.
Es war ein Irrtum, als ich mit den Recherchen anfing, zu meinen, ich könnte herausfinden, wer Klaus war, und es wäre unlauter, wenn ich jetzt behaupten würde, ich hätte es herausgefunden.
Klaus ist dank der politischen Auseinandersetzungen, in die er verstrickt wurde, zu einer Doppelfigur geworden.
Durch das Bild, das andere sich von ihm gemacht haben, schimmert, wenn man so wohlwollend ist wie ich, noch immer ein starker Rest der Figur, die er tatsächlich gewesen sein könnte.
Die andere Figur ist jene Form der Erscheinung, die uns in den Quellen entgegentritt – Quellen, die von Anfang an nur den Zweck hatten, sein Bild zu verzerren, zu verschmutzen, mit dem Ziel ihn zu diffamieren.
Ich kann nur versuchen, jene Ideologeme, Voreingenommenheiten, Opportunismen, Willfährigkeiten, Gefälligkeiten, Speichelleckereien, bewussten Lügen und Verzerrungen, die als solche erkennbar sind, herauszufiltern, und im Kaffeesatz, den ich dadurch erhalte, nach den Spuren der Wirklichkeit zu suchen.
Diese zu ergänzen durch Quellen, denen eine weniger schmutzende Tendenz innezuwohnen scheint.
Alle diese Spuren zusammenzufügen wie ein Mosaik, und aus dem dann immer noch lückenhaften Gebilde Schlüsse zu ziehen, wie Klaus wirklich gewesen sein könnte, bevor sein Porträt so verschmutzt wurde.«
Dieser »Verschmutzung« durch eine sicherheitsstaatliche und von politischen Interessen getragene Propaganda müssen nicht nur die politischen Gefangenen entrissen werden, sondern auch ihre engagierten Verteidiger. Auch die objektiven gesellschaftlichen und weltpolitischen Gründe, die das Entstehen einer Stadtguerilla in der BRD bewirkt haben, gilt es heute beharrlich und akribisch aus der psychologisierenden und nach wie vor im Bildzeitungsstil verblödenden Terrorismuspropaganda herauszuschälen.
Indem Chotjewitz diese Aufgabe und diesen Selbstanspruch am Beispiel der Lebensgeschichte des Anwalts Croissant verfolgt, arbeitet er gut nachvollziehbar heraus, daß die westdeutschen Militanten ihr Recht auf Widerstand vor allem unter dem Eindruck des kontinuierlichen Wirkens von Nazi-Größen im Staatsapparat der Bundesrepublik nach 1945, des Völkermords im Vietnamkrieg und der darin verstrickten Komplizenschaft der Bundesregierung entwickelt und abgeleitet haben.
Croissants Zeit nach der Haft beschreibt Peter Nowak sehr gut in Neues Deutschland vom 18. Oktober 2007:
»Chotjewitz und sein damaliger Anwaltskollege und heutige Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele sind noch immer überzeugt, daß Croissants Aktivitäten von seinem Anwaltsmandat gedeckt waren. Er war der letzte Verteidiger des Rechtsstaates und scheute in dieser Rolle auch keine Auseinandersetzung mit der Staatsmacht. Chotjewitz geht auch auf Croissants Aktivitäten in Westberlin ein, wo er ab Anfang der 80er Jahre am linken Flügel der Alternativen Liste für die Anerkennung der DDR stritt. Nach dem Fall der Mauer engagierte er sich in der gerade gegründeten PDS und war Mitorganisator der ersten Westberliner Demonstration gegen die Annexion der DDR. Wenig später wurde er wegen angeblicher Zusammenarbeit mit dem MfS erneut inhaftiert. Chotjewitz kam nach vielen Gesprächen zu dem Schluß, daß Croissants MfS-Kontakte den Meinungsaustausch über die politische Lage dienten und mit Geheimnisverrat nichts zu tun hatten. Als PDS-Kandidat war Croissant für die Bundestagswahl 1994 im Gespräch, doch ein schwerer Schlaganfall machte ihn zum Invaliden.«
»Heiße Eisen« angefaßt
Dieses Buch ist unbedingt lesenswert, weil es von seinem großen Entwurf her die liebevolle und dennoch nicht unkritische Annäherung an einen Freund ist, der als politisches Subjekt in diesem Land Zeichen gesetzt hat.
Der Autor führt uns – von diesem politischen Lebensweg mit seinen vielfältigen Vernetzungen, Verästelungen ausgehend – zur Frage hin, die uns alle objektiv oder subjektiv, oft genug zwischen ohnmächtiger Empörung und stillem Erleiden und Verzweifeln wankend, bewegt. Die zentrale Frage, die jeden Kritiker und jeden, der nach einem alternativen Gesellschaftsentwurf sucht, umtreibt:
»Warum niemand einen Gedanken darauf verschwendet, daß die paar Regularien und Dienstleistungen, mit denen der Staat seine Existenz und seine Unantastbarkeit zu rechtfertigen sucht, sie davon abhält, sich darüber Gedanken zu machen, wie die paar Gemeinschaftsaufgaben in Selbstverwaltung übernommen werden könnten und wie wenig Grund besteht, sie einem Ungeheuer zu überlassen, das in erster Linie sich selbst dient, sich an uns satt frisst, mästet und von uns auch noch verlangt, dass wir es lieben.« (S. 253)
Eine Rezension ist keine Oscar-Verleihung. Indem sie gelesen wird, entsteht aber ein Forum, in dem unbedingt gesagt werden muß: Danke, Klaus Croissant, daß du deine bürgerliche Existenz und dein Leben für den Schutz der politischen Gefangenen in die Waagschale geworfen hast. Danke Peter O. Chotjewitz, dass du in die Gründe und Abgründe unserer persönlichen und politischen Geschichte hinabgestiegen bist und diese für uns immer noch »heißen Eisen« an die Oberfläche geschafft hast! Nichts und niemand ist vergessen.
Bibliogr. Angaben:
»Mein Freund Klaus«
Von Peter O. Chotjewitz
Roman, 576 Seiten, Hardcover, 22,00 EUR
Verbrecherverlag, Berlin,
ISBN : 978-3-935843-89-8
http://www.verbrecherverlag.de/autor/45