Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 296 –18./19. Dezember 2010
In den USA machte jetzt eine angeblich überraschende Nachricht Schlagzeilen: Richard M. Nixon soll ein Rassist gewesen sein! Der 37. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wies sich bis jetzt vor allem durch ein wesentliches Merkmal aus, das ihn von seinen Vorgängern und Nachfolgern unterschied – seinen Rücktritt im Jahr 1974. Es war der erste und bislang einzige in der US-Geschichte.
Mit dem Namen des von 1969–74 regierenden Republikaners verbindet sich vor allem die Watergate-Affäre, benannt nach einem in der Hauptstadt Washington gelegenen Gebäudekomplex, der Anfang der 1970er Jahre das Hauptquartier der Demokratischen Partei beherbergte. Dort verhaftete die Polizei im Juni 1972 fünf Einbrecher, als sie versuchten, im Auftrag höchster Regierungsstellen Abhörwanzen zu installieren und Dokumente zu fotografieren.
Anfang Dezember hat die Nixon-Bibliothek nun Tonbandmitschnitte ausgedehnter Gespräche Nixons mit seinen Topberatern und seiner persönlichen Sekretärin Rose Mary Woods veröffentlicht. Diese 265 Stunden Aufnahmen stammen aus der Zeit etwa sechzehn Monate vor seinem Rücktritt. Sie sind Teil umfangreicher Mitschnitte, die Nixon während seiner Amtszeit heimlich im Weißen Haus anfertigen ließ.
Die Aufzeichnungen belegen, welche abwegigen Ansichten Nixon über seine Mitmenschen vertrat. Sie offenbaren einen Politiker, der mit seinen Stereotypen und Vorurteilen durchaus der legendären Sitcom der 1970er Jahre »All in the Family« entsprungen sein könnte. In dieser Serie verkörperte der Protagonist Archibald »Archie« Bunker einen erzkonservativen Veteran des Zweiten Weltkriegs und reaktionären Vertreter der weißen Arbeiteraristokratie.
Im Falle Nixon, diesem fleischgewordenen Archie Bunker mit Collegeabschluß, lassen weniger dessen Kommentare aufmerken, als vielmehr die Tatsache, daß er sie als amtierender US-Präsident von sich gab. In einem Gespräch mit seinem Chefberater Charles W. Colson antwortete Nixon am 13. Februar 1973 auf Colsons Bemerkung, er empfände »immer leichte Vorurteile«: Er, Nixon, hege keine Vorurteile, er habe allerdings »festgestellt, daß alle Menschen bestimmte Merkmale aufweisen«.
Über den Alkoholkonsum der Iren sagte Nixon: »Der Ire wird gemein, wenn er trinkt. Vor allem der echte Ire.« Über Juden wußte er zu vermelden, sie verfügten »über eine äußerst aggressive, grobe und unausstehliche Persönlichkeit«. Italienern habe man »ihren Kopf nicht richtig festgeschraubt«, und selbstverständlich durften auch Kommentare zu Afroamerikanern nicht fehlen. In einem längeren Gespräch mit Rose Mary Woods äußerte Nixon scharfe Kritik an seinem Außenminister William P. Rogers, weil dieser über die Zukunft der Schwarzen gesagt habe, die kämen voran, und im Grunde würden sie die USA stärken, weil sie im allgemeinen physisch sehr stark und manche von ihnen sehr klug seien. Nixons Kommentar: Rogers sei in der »schwarzen Sache« irgendwie blind, er habe einfach zu lange in New York gelebt. Recht habe er nur, »wenn man das auf einen Zeitraum von 500 Jahren bezieht«. Falsch sei diese Ansicht aber, betrachtete man nur die nächsten 50 Jahre. Schwarze würden einfach länger brauchen, und die Guten unter ihnen müßten, »offen gesagt, Inzucht betreiben«. Nur so kämen sie wirklich voran.
Nixons Kommentare werfen ein Licht auf die innere Verfaßtheit der weltweit mächtigsten Nation. Sie zeigen den Irrsinn der Welt, in der wir heute leben, und die in ihren Grundzügen von Menschen wie Richard M. Nixon geprägt worden ist.
Die nunmehr zugänglichen Tonbänder enthalten natürlich keine wirklichen Überraschungen. Was sich dort an Vorurteilen gegenüber Schwarzen zeigt, war nach Ansicht seines früheren Beraters H. R. Haldeman schon dadurch bekannt, daß Nixon seine immense Macht dazu einsetzte, die schwarze Freiheitsbewegung zu unterdrücken. Die Repression zielte dabei nicht nur auf die nationalistisch-militanten, sondern auch die integrationistischen Kräfte unter den Schwarzen, die gewaltlos gegen den Vietnamkrieg demonstrierten. Präsident Nixon, ein Rassist? Was für eine sensationelle Neuigkeit!
Übersetzung: Jürgen Heiser