Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 278 – 27./28. November 2010
Ende Oktober kündigte die Leitung des National Public Radio (NPR) ihrem langjährigen Nachrichtenmoderator Juan Williams, weil er in der Fernsehshow »The O’Reilly Factor« des rechtskonservativen Senders Fox Angst vor Muslimen geäußert hatte. Auf die Frage seines Gastgebers Bill O’Reilly hatte Williams erklärt: »Bill, Sie wissen, daß ich kein intoleranter Mensch bin. Ich habe Bücher über die schwarze Bürgerrechtsbewegung in diesem Land geschrieben. Aber wenn ich in ein Flugzeug steige und ich sehe Leute, die muslimische Kleidung tragen, die sich also auf den ersten Blick und zuvorderst als Muslime zu erkennen geben, dann macht mir das angst. Ich werde nervös.«
Williams warnte aber auch davor, alle Muslime als »Extremisten« abzustempeln, schließlich mache man ja auch nicht alle Christen für den Bombenanschlag Timothy McVeighs auf das Bundesgebäude von Oklahoma City verantwortlich.
NPR erklärte seine Kündigung damit, Williams’ Bemerkungen in der O’Reilly-Show seien »unvereinbar mit unseren redaktionellen Standards und Gepflogenheiten und untergraben seine Glaubwürdigkeit als NPR-Nachrichtenmoderator«.
Diese Kündigung ist nur eine in einer langen Reihe, mit denen die ohnehin schon von jedwedem Widerspruch gesäuberten US-Medien in der letzten Zeit versuchen, ihren Redakteuren und Journalisten für tatsächliche oder vermeintliche Verstöße gegen die ehernen Regeln der Medienkonzerne einen Maulkorb umzuhängen.
Williams’ Äußerung, Menschen in islamischen Gewändern machten ihn nervös, ist sicherlich eher dumm als beleidigend, weil er dabei außer acht läßt, daß die Angriffe des 11. September 2001 auf die zivile US-Luftfahrt nicht von Männern in orientalischer Kleidung ausgeführt wurden, sondern von Leuten, die sich mit T-Shirts, Jeans und Jacketts sehr westlich kleideten. Sie trugen diese Kleidung, um eben genau keine Angst bei anderen auszulösen.
Noch besorgniserregender ist die fristlose Kündigung der Nahost-Chefkorrespondentin Octavia Nasr durch ihren Sender CNN, weil sie nach dem Tod des geistlichen Führers der libanesischen Hisbollah am 4. Juli 2010 folgenden Satz twitterte: »Traurig zu hören, daß Sayyed Mohammad Hussein Fadlallah verstorben ist. Er war einer der Großen der Hisbollah, den ich sehr respektiert habe.« Nasr erklärte später zwar, sie habe ihre Achtung gegenüber Fadlallah wegen dessen »bahnbrechenden Ansichten über Frauenrechte« zum Ausdruck bringen wollen, es half aber nichts, denn sie hatte Achtung vor einem Menschen geäußert, den CNN nur als »Terrorist« abgestempelt sehen möchte.
Weder Nasr noch Williams waren als »Radikale« verschrien. Gerade weil sie als gemäßigt galten, hatten sie sich bei ihren Sendern etablieren können. Ihre Kündigungen führten zu landesweiten Kontroversen über das Recht auf freie Meinungsäußerung. Solche Unterstützung widerfuhr im Jahr zuvor weder Dr. Marc Lamont Hill, der vom Sender Fox gefeuert wurde, noch Anthony K. »Van« Jones, der nach gewaltigem öffentlichen Druck als grüner Umweltberater Präsident Obamas zurücktreten mußte. Beiden wurde in gezielten Medienkampagnen ihre frühere politische Aktivität in radikalen Organisationen und ihre freundschaftliche Verbundenheit mit dem Verfasser zur Last gelegt.
Mit den Meinungen ist das wie mit Bauchnabeln – wir alle haben sie. Manche Meinungen sind klug, andere dumm. Manche sind verständnisvoll, andere können verletzend sein oder haßerfüllt. Die Frage ist: Sollen wir sie verbergen, oder sollen wir sie aussprechen, um uns damit auseinandersetzen zu können? Vor Meinungen braucht niemand Angst zu haben, und sie sollten auch nicht ignoriert werden. Sie sollten geprüft, und in Frage gestellt werden, damit wir entscheiden können, was an ihnen vernünftig und was an ihnen unvernünftig ist.
Übersetzung: Jürgen Heiser