Kolumne # 515 vom 6.11.2010: Politik der Angst

06.11.10 (von maj) Wie Obamas Gegner den US-Präsidenten seit zwei Jahren demontieren

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 260 – 06./07. November 2010

Bei den diese Woche vollzogenen Zwischenwahlen in den USA hat die Demokratische Partei von US-Präsident Barack Obama einige Stimmenverluste hinnehmen müssen. Die Kandidaten der Republikanischen Partei und die Wortführer der populistischen Tea-Party-Kampagne peitschten die Stimmung im Land auf. Manche von ihnen erschienen in ihrem Fanatismus wie Karikaturen. Sie kamen entweder als »Hexen« oder »Nazis« daher, andere als Südstaaten-»Rednecks« oder stramme Parteisoldaten der »Konföderierten«, als gelte es immer noch, die Sklavenhaltergesellschaft vor ihrem Untergang zu bewahren.
Abgesehen von ihrer Phrasendrescherei hatten sie alle eins gemein: Sie schürten vor allem Angst – die Angst vor einem schwarzen Präsidenten. Sie sprachen zwar über den Finanzhaushalt, über zu hohe Steuern und allgemein über den »zu stark aufgeblähten Regierungsapparat«, aber was sie in Wahrheit meinten, war Barack Obama. Darin allein liegt die ganze Triebkraft für ihre Opposition, und damit endet sie auch schon wieder. Diese Kräfte haben es nicht verwunden, daß 2008 mit Obama der erste Schwarze in das hehre Präsidentenamt der USA gewählt wurde. Und sie wollen und werden sich auch niemals damit abfinden.
Deshalb haben sie ihn vom ersten Tag an mit Begriffen belegt, mit denen sie ihn denunzieren und demontieren wollten. »Sozialist« schimpften sie ihn. Manche nannten ihn »Moslem«. Wieder anderen gefiel es, ihn öffentlich als »Kenianer« zu bezeichnen, womit sie auf den afrikanischen Hintergrund der Familie seines Vaters abstellten und ihm praktisch seine US-amerikanische Staatsbürgerschaft aberkannten.
Zu Berühmtheit gelangte die Aussage einer Frau während einer Wahlkampfveranstaltung seines republikanischen Kontrahenten John McCain vor zwei Jahren, die mit ängstlich-zittriger Stimme vor Obama als »dem Araber« warnte. McCain meinte sie beschwichtigen zu können, indem er seiner Anhängerin versicherte, Obama sei kein Araber, sondern »ein guter Amerikaner«, als sei das eine mit dem anderen nicht vereinbar.
Genau um diese emotionale Konditionierung mit dumpfen Vorurteilen, die sich in der Angst der McCain-Wählerin zeigte, geht es der Tea-Party-Kampagne, deren politische Botschaft in Wahrheit das Schüren der Angst vor dem »Islam« und den »Fremden« ist – und nicht die Sorge um den wirtschaftlichen Niedergang des Landes.
Daß es den hinter der Teaparty stehenden politischen Kräfte um alles andere als die Ökonomie geht, hat schon ihr Verhalten während der Präsidentschaft von George W. Bush klargemacht, als dessen Regierung sich ausgerechnet von der Volksrepublik China über eine Billion US-Dollar borgte, um den Krieg gegen Irak führen und die größte Institution aufbauen zu können, die es je in der Geschichte der USA gegeben hat. In diesem neugeschaffenen Heimatschutzministerium wurde ein gutes Dutzend Bundesbehörden zu einem gewaltigen Superministerium zusammengeschlossen. Aber weder wegen der unermeßlichen Kriegskosten noch wegen der Superbehörde gab es zu Bushs Zeiten je Proteste über die Verschwendung von Staatsgeldern oder aufgeblähte Regierungsapparate. Erst unter Obama legten sie los.
Es hat sicher nicht geholfen, daß Barack Obama sich daranmachte, seinen Traum von der partnerschaftlichen Zusammenarbeit der beiden staatstragenden Parteien umzusetzen. Dieser Traum hat sich in einen Alptraum verwandelt. Obama hat ein ganzes Jahr damit verloren, Zustimmung von Anhängern der Republikanischen Partei zu seiner Regierungspolitik zu erheischen. Das Gegenteil war der Fall. Statt dessen mußte Obamas Demokratische Partei jetzt eine reiche Ernte der Politik der Angst einfahren, die seine politischen Gegner ausgesät haben. Heute weiß niemand, welche bitteren Früchte uns noch erwarten.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 23.11.2024 um 14:59:55 Uhr