Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 254 – 30./31. Oktober 2010
Wenn sich in den USA am 2. November 2010 die Wahllokale schließen, werden für die Demokratische Partei von US-Präsident Barack Obama womöglich harte Zeiten anbrechen. Vor dem Hintergrund, daß die ökonomische Krise fortdauert und die Arbeitslosigkeit beständig ansteigt und dabei Ausmaße annimmt, wie wir sie seit den 1970er Jahren nicht mehr gekannt haben, fühlen sich viele Wähler aus der Arbeiterklasse von ihren demokratischen Senatoren verraten. Sie werfen ihnen vor, im US-Kongreß nicht wirklich für ihre Interessen gekämpft zu haben.
Möglicherweise wird bei den jetzt anstehenden Zwischenwahlen eine beträchtliche Zahl von Wahlberechtigten ihre Stimme gar nicht abgeben. Sie werden einfach wegbleiben, und ihre Beweggründe werden deshalb auch nicht in den traditionellen Statistiken der Meinungsforscher auftauchen. Nichtwähler werden vor allem aus jenen Kreisen stammen, die noch am ehesten willens sind, die Demokratische Partei zu wählen. Es sind insbesondere weite Teile der schwarzen Bevölkerung und junge Leute, beispielsweise Studierende. Viele dieser Wähler verfügen nur noch über Mobiltelefone, haben also keine Festanschlüsse mehr, die normalerweise von den Wahlwerbern der Parteien systematisch angerufen werden, um die Menschen zur Abgabe ihrer Stimme für die jeweiligen Kandidaten zu bewegen. Junge Wählerschichten sind durch mündlich übermittelte Wahlwerbung überhaupt nicht mehr zu erreichen, weil sie auch untereinander vorwiegend über elektronische Textnachrichten kommunizieren.
Ginge nur noch die Hälfte der 20 Millionen jungen Leute, die 2008 für den Präsidentschaftskandidaten Barack Obama gestimmt hatten, am kommenden Dienstag zur Wahl, dann würden die Demoskopen der Demokratischen Partei am Mittwoch morgen blaß aussehen. Zwar ist das noch eine offene Frage, sicher ist aber, daß sich bei vielen jungen, fortschrittlichen und linken Wählern, für die Obamas Präsidentschaft zunächst vielversprechend begann, seit geraumer Zeit eine große Enttäuschung breitmacht.
Die Bandbreite der Themen, aus denen sich diese Enttäuschung speist, ist groß. Vom immer noch existierenden Gefangenenlager Guantánamo, das Obama eigentlich sofort schließen wollte, bis zur Ausweitung des Krieges in Afghanistan und Pakistan. Von der illegalen Verschleppung von Gefangenen ins Ausland, um sie dort foltern zu lassen, bis zu den geheimen CIA-Gefängnissen. Ernüchternd auch die laue Gesundheitsreform, die den Profitinteressen der Versicherungskonzerne mehr nützt als den US-Bürgern, die bislang ohne Krankenversicherungsschutz leben mußten. Und viele Obama-Anhänger haben überhaupt kein Verständnis dafür, daß sich die von ihnen 2008 gewählte Regierung gegenüber der extremen Rechten einen geradezu respektvollen Umgang leistet, während sie der Linken Standpauken hält.
Nach der Katastrophe der achtjährigen Herrschaft von US-Präsident George W. Bush war Barack Obama für die Demokratische Partei angetreten, um Geschichte zu schreiben. Das war schwierig genug angesichts des Erbes, das Bushs Kriegskabinett hinterlassen hatte. Wenn aber so vieles, was mit Obamas »Wandel«-Rhetorik versprochen wurde, nicht eingelöst wird, dann kann es kaum gelingen, zum zweiten Mal Geschichte zu schreiben. Denn die Rechten und ihre »Tea-Party«-Kampagne feuern jetzt aus allen Propagandageschützen auf Obama und die Resultate seiner zweijährigen Regierungszeit, und sie setzen dabei auf das schnelle Vergessen, wer in Wahrheit für die drängenden Probleme der Gegenwart verantwortlich ist. Es scheint, als wollten sie um jeden Preis den Satz beweisen, daß, wer sich der Geschichte nicht erinnert, dazu verdammt ist, sie zu wiederholen. Der Philosoph Karl Marx hat in seinem Aufsatz »Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte« dazu 1852 treffend festgestellt: »Hegel bemerkt irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andre Mal als Farce.«
Übersetzung: Jürgen Heiser