Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 242 – 16./17. Oktober 2010
In seinen öffentlichen Auftritten vor den herannahenden US-Zwischenwahlen warnt US-Präsident Barack Obama vor einer drohenden politischen Apokalypse, die eintreten werde, falls die Republikanische Partei es schaffen sollte, wieder die Mehrheit im US-Kongreß zu erreichen und damit die Macht im entscheidenden parlamentarischen Gremium des Landes zu übernehmen. Die »One-Nation«-Demonstration, veranstaltet von der Frauenbewegung, Bürgerrechtsorganisationen und den Gewerkschaften am 2. Oktober 2010 in Washington D. C., zielte auch auf die Unterstützung der Demokratischen Partei. Und das, obwohl die Verärgerung und Enttäuschung über die Politik der Regierungspartei groß ist und die Entfremdung von ihr weite Teile der Anhänger erfaßt hat. Deshalb bedeutet Unterstützung in diesen Tagen weniger, für die Demokraten als vielmehr zuallererst gegen die Republikaner zu sein. Das ist eigentlich schon die ganze Dynamik, um die sich im Moment die offizielle Politik dreht.
Auch wenn es zutreffend sein mag, daß die Republikaner das rechte und konservative Spektrum das Landes repräsentieren, so stimmt es aber nicht, daß die Demokraten für das linke Spektrum stehen. Die Gründe dafür sind vielschichtig, können aber in aller Kürze so zusammengefaßt werden, wie es Arthur K. Davis (1916–2001), der frühere Präsident der Kanadischen Gesellschaft für Soziologie und Anthropologie, im Oktober 1960 in der marxistischen Zeitschrift Monthly Review in seinem Artikel »Decline and Fall« (Aufstieg und Fall) ausgedrückt hat: »Es gibt heute keine ›Linke‹ in den USA. Es gibt nur einige linke Splittergruppen mit wenig Aussicht darauf, eine massenhafte Anhängerschaft zu gewinnen. In fast allen anderen westlichen Industrienationen umfaßt das politische Spektrum Elemente der Rechten, des Zentrums und der Linken. Das ist die Normalität in den modernen Gesellschaften des Spätkapitalismus. Sozialistische oder kommunistische Parteien sind Teil der politischen Landschaft Westdeutschlands, Frankreichs, Italiens und Englands. Sogar in Kanada gibt es eine kleine, aber dennoch einflußreiche sozialdemokratische Partei.«
Im weiteren beschreibt Davis das politische System der USA als eine »von rechts bis zur Mitte reichende Maschinerie«, in der die beiden großen staatstragenden Parteien konservativ ausgerichtet sind – die eine mehr, die andere weniger. Und auch wenn das System sich gelegentlich auf Konzessionen oder sogar Reformen einließe, habe die große Mehrheit der Wählerschaft keinen ausschlaggebenden Zugang zu authentischen Positionen linker Politik, weil sie in der parlamentarischen Struktur schlicht und einfach nirgendwo vertreten seien.
Arthur K. Davis schrieb diese Einschätzung vor fünfzig Jahren, und sie trifft im wesentlichen immer noch zu. Heute vielleicht sogar noch stärker als damals. In Wahrheit geht die Hauptstoßrichtung der Regierungspolitik seit Jahrzehnten nur nach rechts. Die heutigen Republikaner stehen mittlerweile soweit rechts, daß sie ihre Vorgänger, die das Parteileben vor dreißig Jahren bestimmten, heute wie Liberale aussehen läßt. Die heutigen Liberalen hingegen standen in der Vergangenheit noch für den rechten Flügel bürgerlicher Politik. Und die Linke? Sie steht nach wie vor draußen in der Kälte vor der Tür.
Die große Mehrheit der US-Bürger war und ist gegen den Irak-Krieg und hat das 2003 schon vor Beginn des Krieges durch die größten Massendemonstrationen seit dem Vietnamkrieg zum Ausdruck gebracht. Als der Krieg trotz alledem losgetreten wurde und die ganze Region in die Katastrophe stürzte, riefen die führenden Stimmen der Antikriegsbewegung dazu auf, den Kriegstreibern massenhaft Denkzettel in die Wahlurne zu stecken. Viele Oppositionelle gaben deshalb ihre Stimme Senator Barack Obama, der sich im Wahlkampf als künftiger Antikriegs-Präsident gab. Was seine Wähler jedoch bekamen, waren mehr Bomben, mehr Truppen und mehr Militarismus zur Unterstützung der kleptokratischen Marionetten in Bagdad und Kabul. Wer wollte diesen enttäuschten Wählern einen Vorwurf machen, wenn sie angesichts der bevorstehenden Kongreßwahlen kaum Begeisterung zeigen?
Übersetzung: Jürgen Heiser