Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 218 – 18./19. September 2010
Geht man von der aktuellen täglichen Nachrichtenlage der westlichen Medien aus, findet der Irak-Krieg nicht mehr statt. Es ist erstaunlich, daß ein Krieg, der mit dreister Lügenpropaganda, martialischem Aufwand und unter lautem Kriegsfanfarengetöse begann, so plötzlich und in aller Stille wieder von den Schlachtplänen des Imperiums verschwindet. Was ist von diesem Krieg nach fast acht Jahren blutigen Gemetzels geblieben außer dem offiziell verordneten Vergessen? Wofür wurde dieser Krieg geführt? Etwa zum Beseitigen von Massenvernichtungswaffen? Die gab es gar nicht, wie alle Welt schon sehr früh wußte! Zur Beendigung eines Folterregimes? Ach woher, Folter wurde doch zum Inbegriff gerade dieses Krieges! Für die Gleichberechtigung der Frauen? Kein Gedanke! Demokratie? Fehlanzeige! Um Irak zum leuchtenden Beispiel für den Rest des Mittleren Ostens zu machen? Das Gegenteil ist der Fall!
Nein, dieser Krieg wurde geführt, weil die USA ihr Gesicht wahren wollten. Er wurde für das US-amerikanische Ego und seinen martialischen Exhibitionismus geführt. Die Besatzertruppen sollten die US-Flagge auf die irakischen Ölfelder pflanzen, und der Krieg sollte die US-Dominanz über die Region auf Generationen hinaus sichern. Er wurde geführt, weil der damalige US-Präsident George W. Bush wie Dwight D. Eisenhower sein wollte –ein Kriegspräsident, als »Oberbefehlshaber« gekrönt mit dem Lorbeerkranz militärischen Siegesruhms.
Heute, fast acht Jahre nach Kriegsbeginn, liegt die amerikanische Nation am Boden, erschöpft, verbraucht und krank vor Wut. Wütend auf wen? Auf Muslime, Moscheen und den braunhäutigen »Anderen«, ja sogar die Latinos im Land. Warum sind nur so wenige wütend auf jene, die den Kriegsbrand geschürt haben? Die Presse, die Netzwerke der Nachrichtensender und Kabelkanäle, Denkfabriken und die Kriegstreiber unter den Politikern.
Irak gleicht heute eher einer Ruinenlandschaft als einer Nation, ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Die Staatsführung ist paranoid und ohne jedes Vertrauen in die eigene Bevölkerung. Wenn dieses Land ein Beispiel für irgend etwas sein soll, dann nur für das, was nicht sein soll.
Sind die USA heute sicherer? Wovor denn, wäre die Frage. Vor dem wütenden Widerstand der muslimischen Welt, die Hunderttausende zivile Opfer in diesem Krieg beklagt? Oder vor dem bitteren Leid der Angehörigen von über 4000 gefallenen US-Soldaten oder dem der vielen Kriegsveteranen, die in den Krieg zogen und ihre Jugend und ihr Seelenheil verloren für Halliburton, Exxon, BP und andere multinationale Konzerne, die die einzigen Nutznießer dieser Katastrophe sind? Sind die USA heute sicherer vor ihrer eigenen paranoiden Angst oder vor sich selbst?
Die Mission, die George W. Bush schon im Mai 2003 medienwirksam als »erledigt« bezeichnete, ist politisch und moralisch gescheitert und militärisch nicht zu gewinnen. Die US-Kampftruppen wurden jetzt abgezogen und der Krieg damit offiziell für beendet erklärt, weil US-Präsident Barack Obama und seine Demokratische Partei diese Nachricht brauchen, um bei den Kongreßwahlen im November 2010 punkten zu können. Der Krieg wird jedoch mit anderen Mitteln weitergeführt. 50000 US-Soldaten bleiben im Land. »Zur Ausbildung der irakischen Armee bis Ende 2011«, wie es offiziell heißt. Aber notfalls kann ihre Stationierung auch verlängert werden. In der Zwischenzeit werden weiterhin Tausende US-Söldner ins Land geschleust und die unter Bush begonnene Privatisierung des Kriegsgeschäfts mit Kontraktfirmen ausgebaut. Und während auf diese Weise in Irak »abgerüstet« wird, werden die regulären Truppen in Afghanistan weiter verstärkt.
Krieg ist wie ein Fieber, eine psychische Erkrankung, bei der die kriegführende Nation ihre Krankheit auf andere Nationen überträgt. Und weil die Ursache der Krankheit weder benannt noch behandelt wird, bleibt sie virulent und breitet sich aus.
Übersetzung: Jürgen Heiser