Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 181 – 7./8. August 2010
Die Reaktionen der staatstragenden Medien in den USA auf die Veröffentlichung von mehr als neunzigtausend Dokumenten über den Afghanistankrieg reichten von »unbedeutend« bis »ein Akt des Verrats«. Die Kommentare entstammen dem gleichen Denken, das dieses Land in der Folge der Anschläge vom 11. September 2001 in den Krieg getrieben hat. Die Medien erweisen sich dabei immer wieder als willfährige Diener mächtiger US-Präsidenten und als Sprachrohr des Imperiums und seiner Rüstungsindustrie.
Wikileaks-Sprecher Julian Assange wird vorgeworfen, er gefährde durch die Veröffentlichung der Dokumente die US-Soldaten, die sich in Afghanistan im Einsatz befinden, und deren verdeckt arbeitende Informanten. Ein Aberwitz, denn es ist allein die US-Regierung, die ihre Soldaten im Einsatz gefährdet und verheizt. Assanges zweites »Vergehen« soll sein, daß er Zahlen nennt, wie viele Opfer unter der Zivilbevölkerung die US-Armee in Afghanistan tatsächlich zu verantworten hat. Für die Mehrzahl der US-Medien ist dieses Thema ein absolutes Tabu. Sie kommen ihrer Informationspflicht in keiner Weise nach und greifen stattdessen all jene an, die dieses unausgesprochene Tabu brechen.
Genau hier liegt der Grund, warum die US-Medien eine aussterbende Spezies sind. Immer weniger Leute interessieren sich noch für die Fernsehnachrichten oder lesen Zeitungen. Insbesondere die junge Generation ist führend bei diesem Trend. Laut einigen aktuellen Untersuchungen verlieren die Printmedien Jahr für Jahr rund zehn Prozent ihrer Leserschaft. Auch wenn eingeräumt werden muß, daß technologische Entwicklungen in diesem Prozeß zweifellos eine Rolle spielen, so ist es doch vor allem der Vertrauensverlust, der zum Leserschwund führt. Presse, Rundfunk und Fernsehen schritten fahnenschwenkend voran, als diese Nation sich in Afghanistan und Irak in ihre katastrophalen Kriegsabenteuer stürzte.
Wenn jetzt eine Internetplattform wie Wikileaks auf den Plan tritt und das Rohmaterial der Daten, Nachrichten und internen Kommentare des Geschehens in Afghanistan ans Licht der Öffentlichkeit zerrt, geben sich die herrschenden Medien zunächst überrascht, um im nächsten Moment die Macher von Wikileaks wie ausgehungerte Pitbulls zu attackieren, weil die sich ihrem Spiel verweigern. Doch in Wahrheit kläffen die imperialistischen Medien nur – Wikileaks dagegen beißt zu.
Das zeigte sich am spontanen Aufschrei und den hektischen Reaktionen der US-Offiziellen bei der Suche nach dem »Leck« (engl.: leak) in den eigenen Reihen. Die US-Militärführung verdächtigt nun wegen der Offenlegung der Afghanistandokumente den 22jährigen Gefreiten Bradley Manning, der als Auswerter beim militärischen Geheimdienst in Irak arbeitete.
Manning befand sich bis zu seiner jüngst erfolgten Verlegung in eine Haftzelle der Quantico Marine Corps Base in Virginia bereits seit Wochen in einem US-Militärgefängnis in Kuwait, weil er im Verdacht steht, für einen anderen Veröffentlichungscoup von Wikileaks verantwortlich zu sein. Er soll die Videoaufnahme eines US-Luftangriffs in Bagdad von 2007 weitergegeben haben. Damals starben irakische Zivilisten und zwei Journalisten der Agentur Reuters unter dem gezielten Feuer aus US-Kampfhubschraubern, begleitet von menschenfeindlichen Kommentaren feixender Soldaten. Wikileaks veröffentlichte das auf Video dokumentierte Kriegsverbrechen im April 2010 unter dem Titel »Kollateraler Mord«.
Manning soll wegen der Weitergabe dieser Aufnahmen nun wegen »Geheimnisverrats« und »Gefährdung der nationalen Sicherheit« angeklagt werden. Ihm drohen 52 Jahre Haft. Nach US-Recht macht sich strafbar, wer als »geheim« eingestuftes Material weitergibt. Straffrei bleiben dagegen Medien, die es veröffentlichen. Ein breites Solidaritätsbündnis organisiert nun für Sonntag, den 8. August 2010, eine Großdemonstration vor dem Marine-Stützpunkt für Bradley Manning, weil er das einzig Richtige getan hat.
Übersetzung: Jürgen Heiser
Info: www.bradleymanning.org