An meine Freundinnen und Freunde des Bündnis für Soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde in Berlin:
Wie geht’s? On a move – Bewegung!
Ich danke euch für die bewegende Verleihung des »Preises für Solidarität und Menschenwürde« heute, am 4. Juli 2010!
Danke!
Wenn diese »Medaille« eine Kehrseite hat, dann die, dass ausgerechnet das Land, das am lautesten und längsten über die Menschenrechte redet, sie am wenigsten praktiziert.
Die Vereinigten Staaten von Amerika sind das Gefangenenhaus der Nationen. Hier werden mehr Menschen eingesperrt und zu längeren Haftstrafen verurteilt als in jedem anderen Land dieser Welt. Die USA übertreffen damit sowohl prozentual als auch in nackten Zahlen jedes Land Europas, sie übertreffen sogar die Statistiken Russlands und die Gefangenenzahlen Südafrikas vor und nach dem Ende des Apartheidsystems.
Akut ist von dieser Problematik vor allem die schwarze Bevölkerung der USA betroffen. Für Schwarze ist es zu einer normalen Alltagserfahrung geworden, zu irgendeiner Zeit ins Gefängnis geworfen zu werden, quasi als eine Art von negativem Initiationsritus.
Michelle Alexander, eine junge US-Wissenschaftlerin, die in ihrer Arbeit das heutige US-Gefängnissystem untersucht, hat es als »The New Jim Crow« bezeichnet, eine Referenz an die Zeit vor der Bürgerrechtsbewegung, als die Unterdrückung der Schwarzen unter den Verhältnissen des US-amerikanischen Apartheidsystem noch völlig legal war. Gleichzeitig ist »The New Jim Crow« auch der Titel ihres jüngsten Buches.
Gerade heute, am Amerikanischen Unabhängigkeitstag 4. Juli, dürfen wir nicht vergessen, dass die Nation, die sich die Worte »Unabhängigkeit« und »Freiheit« in ihre Gründungsdokumente schrieb, just an dem Tag, als diese Dokumente unterzeichnet und gegenüber der Welt kundgetan wurden, Millionen von Menschen – exakt ein Viertel der Bevölkerung der Vereinigten Staaten von Amerika – unter den erniedrigenden Lebensbedingungen der Sklaverei in Unfreiheit hielt.
Ich schreibe diese Worte deshalb heute auch im Namen der Millionen in den Gefängnissen und der Tausenden in den Todestrakten und schreibe sie vor allem in der Hoffnung, dass die Menschenrechte in Zukunft mehr sein werden als nur Worte.
Wir haben in Abu Ghraib gesehen, wie es um die Menschenrechte in den USA bestellt ist. Wir sehen im Gefangenen- und Folterlager Guantánamo Bay auf
Kuba, was die USA von Menschenrechten halten. Auch die »black sites« genannten Geheimgefängnisse der CIA in Europa und anderswo auf der Welt sagen uns alles darüber, was die USA von den Menschenrechten halten.
Und wo haben die Folterer, die von den USA im Ausland eingesetzt werden, ihr schmutziges Handwerk erlernt? Hier im Gefängnissystem der USA!
Nur wenn sich das Volk einig ist, kann es einem solch pervertierten Verständnis von den Menschenrechten ein Ende bereiten.
Ich danke euch vom Bündnis für Soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde deshalb ausdrücklich für eure Bemühungen, diesem Tag einen Schritt näher zu kommen!
Danke – vielen Dank!
Aus der Todeszelle,
hier spricht Mumia Abu-Jamal
[Übersetzung: Jürgen Heiser, IVK Bremen; die kursiv gesetzten Wörter hat Mumia Abu-Jamal im Original deutsch geschrieben]