Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 122 – 29./30. Mai 2010
Nach der Havarie des Bohrturms im Golf von Mexiko strömen seit Wochen aus einem Leck am Meeresgrund Unmengen von Rohöl aus. Das ungeheure Geschehen führt uns als eine Art Paradebeispiel die Segnungen der Ölindustrie vor Augen. Seit dem Tankerunglück um die »Exxon Valdez« 1989 vor der Küste Alaskas haben wir nicht mehr eine solche Katastrophe erlebt.
Die Ereignisse riefen Erinnerungen an die Worte John Africas wach. Der Gründer der Organisation MOVE in Philadelphia schrieb 1978 nach einem brutalen Polizeiüberfall auf das Haus der Kommune einen fünfzehnseitigen offenen Brief, in dem er sehr pointiert seiner Empörung Ausdruck verlieh. Diese richtete sich aber nicht gegen die erlebte Razzia, sondern gegen die Zerstörung der Natur durch Konzerne und Staat.
Zu Beginn seines Briefes schrieb Africa: »Gerichte sind Werkzeuge der industriellen Pest. Sie gewähren den großen Geschäftemachern das Privileg, unsere Erde zu vergiften. Auch unser Wasser, so klar und vertraut, verwandeln sie in Gift.« Diese Worte erinnern an die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA, der die Geldstrafe, zu der der Exxon-Ölmulti wegen der Verseuchung durch das Öl der »Exxon Valdez« ursprünglich verurteilt worden war, großzügig auf 500 Millionen US-Dollar gesenkt hat – »Peanuts« angesichts der auf Jahrzehnte zerstörten Küsten und Lebensräume von Pflanzen und Tieren. Bis heute hat sich die Region nicht erholt.
Zur Wasserverschmutzung erklärte John Africa in seinem Brief: »Die Industrie zerstört nicht nur unsere Lebensgrundlagen, sie hat sogar einen neuen Industriezweig geschaffen, der ein Multimilliarden-Dollar-Geschäft damit macht, die Umweltverschmutzungen wieder zu beseitigen. All die Chemikalien, die sie ins Wasser kippen, um es, wie man sagt, wieder aufzubereiten, kommen also von derselben Industrie, die es vorher verschmutzt und dabei auch schon Milliardenprofite gemacht hat.«
Im Lichte der Katastrophe im Golf von Mexiko kommt es einem so vor, als habe John Africa diese Worte gerade erst geschrieben. Vor allem angesichts der hochgiftigen Chemikalien, die British Petrol (BP) tonnenweise ins Meer pumpte, um es zu »reinigen«. Welche Folgen das haben wird, kann niemand sagen, weil niemand es wirklich weiß. Aber es war gut für BP, weil die Chemikalien das Öl sinken ließen und es damit für die Kameras der Medien vorübergehend unsichtbar machte.
Was sich dort im Golf von Mexiko ereignet, ist eine Katastrophe von unbekannten Ausmaßen. Auch ein wirtschaftliches Desaster, denn Fischfang, von dem viele an den vom Ölschlamm heimgesuchten Küsten der Südstaaten bislang lebten, ist auf lange Sicht nicht mehr möglich. Die Fischgründe sind vernichtet. Was wir gerade erleben, ist ein Experiment an allem, was lebt in dieser Region, und das Auswirkungen hat, die wir eines Tages bitter bereuen werden.
Die makabre Ironie dieser Ereignisse ist, daß die Regierung Barack Obamas nur wenige Tage vor der Bohrturmhavarie angekündigt hatte, der Erhöhung der Ölfördermengen vor der atlantischen Küste der USA zuzustimmen. Politiker revanchieren sich mit solchen Entscheidungen bei ihren Großspendern, die ihnen ihren Wahlkampf finanziert haben, und riskieren, daß für kurzsichtige Interessen Umweltkatastrophen ausgelöst werden, deren Folgen nachfolgende Generationen noch zu spüren bekommen werden. Dann, wenn die Politiker längst nicht mehr im Amt sind.
Nach einer gewissen Zeit wird das Leck der Tiefseeölbohrung vergessen sein. Auch die Ölteppiche werden nach einiger Zeit vergessen sein. Sogar die angerichteten Verwüstungen werden vergessen sein. Wir alle, die wir nicht dort leben, werden nicht mehr daran denken. Bis es wieder passiert.
Übersetzung: Jürgen Heiser