Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 111 – 15./16. Mai 2010
Ein US-Bürger pakistanischer Herkunft stellt sein Auto auf dem New Yorker Times Square ab, setzt eine Zündvorrichtung in Gang und steigt aus. Der Wagen ist voll mit entzündlichem Material, das aber keine Feuersbrunst auslöst, sondern eine Explosion wilder Spekulationen in den Medien, hektische Betriebsamkeit bei den Sicherheitsbehörden und, was am wichtigsten ist: Angst. Die Explosion, die technisch scheiterte, scheiterte aber nicht in ihrer propagandistischen Wirkung; sie sorgte dafür, daß die Aufmerksamkeit wieder auf die Kriege der USA und die sich verschärfenden Konflikte und Widersprüche im Nahen und Mittleren Osten und in Asien gelenkt wurde. Und auf das Problem des damit eng im Zusammenhang stehenden Terrorismus.
Die US-Bürger waren in der letzten Zeit derart mit ihren eigenen wirtschaftlichen Problemen beschäftigt, daß die Kriege, die die US-Armee in anderen Ländern führt, völlig aus den Schlagzeilen verschwunden waren. Für die Mehrheit in Vergessenheit geraten, waren die Schrecken des Krieges allerdings für die Soldaten und ihre Familien immer äußerst präsent.
US-Denkfabriken, Wissenschaftler und Diplomaten müssen sich in Scharen den dramatischen Folgen einer fehlgeleiteten und kurzsichtigen Außenpolitik des US-Imperiums widmen, die in den betroffenen Ländern die Herzen von Millionen Menschen in Brand gesetzt hat. Wenn ein 30jähriger, zweisprachig erzogener US-Amerikaner wie Faisal Shahzad, der einer wohlhabenden Familie entstammt und eine gute Ausbildung genossen hat, sich einen solchen Anschlag ausdenkt und zu realisieren versucht, vermutlich als unmittelbare Reaktion auf den Beschuß seines Heimatlandes Pakistan durch US-Drohnen, wobei einer seiner Freunde zu Tode kam, dann muß man sich doch fragen, wer wohl der nächste ist, der auf diese Weise zurückschlägt. Auf die Antwort werden wir sicher nicht lange warten müssen.
Während darüber spekuliert wird, was passiert wäre, wenn der Anschlag auf dem Times Square erfolgreich gewesen wäre, sei an dieser Stelle die Vermutung gestattet, daß die Zündung der Autobombe nicht an der dilettantischen Ausführung durch Faisal Shahzad scheiterte, sondern weil es entweder in seiner oder vielleicht sogar in der Absicht jener lag, die ihn instruiert haben, daß es nicht zur Explosion kommt. Vielleicht wollten sie ja nur zeigen, daß es hätte passieren können in »Neon City«, dem Theaterviertel rund um Manhattans Broadway. Denn eins hat der Vorfall erreicht: die Fieberkurve der Angst ist im ganzen Land sofort auf ihren höchsten Punkt seit langem hochgeschnellt. In dieser Hinsicht ist der Anschlag also psychologisch im Sinne seiner Planer ein Erfolg gewesen.
Es ist noch keine sechs Monate her, daß ein anderer junger Mann, der einer wohlhabenden nigerianischen Familie entstammt, fast eine Katastrophe mit vielen Opfern ausgelöst hätte, wenn das Flugzeug, das er angeblich auf dem Flug von Amsterdam nach Detroit zur Explosion bringen wollte, auf bewohntes Gebiet gestürzt wäre. Kaum ist ein halbes Jahr vergangen, und der Name des 23jährigen Umar Farouk Abdulmutallab ist schon wieder vergessen. Was aber, wenn diese vermeintlich gescheiterten Anschläge nur Probeläufe waren, um zu beweisen, wie leicht solche Angriffe ausgeführt werden könnten? Die US-Außenpolitik, die Menschen anderer Länder leichtfertig zu Opfern ihrer militärischen Angriffe und Bombenabwürfe macht, kann Vergeltungsschläge provozieren, die auch unter der US-Bevölkerung viele Opfer fordern. Vielleicht haben wir jetzt nur die ersten schwachen Wellen einer Flut gesehen, die uns noch erwartet.
Übersetzung: Jürgen Heiser