Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 95 – 24./25. April 2010
Millionen Menschen schauen zutiefst verängstigt in eine ungewisse Zukunft. Ihre Träume werden unter der gewaltsamen Einwirkung von Problemen mit Arbeitslosigkeit, Zwangsräumungen und wachsender Armut zerschmettert. Gleichzeitig müssen sie mit ansehen, wie Banken und Investmentfirmen, die verantwortlich sind für die starken wirtschaftlichen Turbulenzen seit dem Jahr 2008, ihren ungeheuren Wohlstand und Besitz vermehren. In einer bislang ungekannten Weise fließen öffentliche Gelder in die Kassen privatwirtschaftlicher Unternehmen, während die Etats von Sozialdiensten gekürzt und Bürger, die ihr Erspartes in betrügerische Investmentfonds gesteckt hatten, abgezockt werden und bankrott gehen.
Die Medienkonzerne geben der religiös-konservativen »Tea-Party-Bewegung« der weißen Privilegierten, die um ihren Besitzstand und ihre gesellschaftliche Vormachtstellung fürchten, viel Raum in ihrer Berichterstattung, übersehen aber, wie das Land von tiefsitzenden Ängsten überflutet wird, ausgelöst durch Erfahrungen vieler Bürger mit den Folgen des wirtschaftlichen Niedergangs. Ängste, die kanalisiert werden in dumpfen Rassismus, in Paranoia, Xenophobie und Haß.
Das sind unter anderem auch die Konsequenzen des North Atlantic Free Trade Agreements (NAFTA), das der damalige US-Präsident William Clinton 1994 mit Macht durch das Parlament boxte. Durch dieses Freihandelsabkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko wurden ärmere Länder wie Mexiko durch konkurrenzlos billige US-Waren überflutet, die die Wirtschaft des Empfängerlandes ruinierten. Gleichzeitig aber wurden in den USA viele Arbeitsplätze vernichtet, weil Produktionsstätten der verarbeitenden Industrie zunächst nach Mexiko und später nach China ausgelagert wurden. Sind solche Jobs erst einmal wegorganisiert, dann sind sie auch für immer verloren. Denn wenn das Kapital die Möglichkeit hat, an billige Arbeitskräfte zu kommen, die zudem gewerkschaftlich nicht organisiert sind, dann wird es diesem Weg immer folgen, weil nur das wirklich hohe Profite bringt.
Politiker wie William Clinton, die ihren Zahlmeistern in den Chefetagen der Konzerne gute Dienste erweisen und am Ende ihrer Amtszeit sogar noch hochdekoriert und belohnt werden, verraten gleichzeitig ihre Wähler, deren Stimmen sie ins Amt gebracht haben, wenn sie ihnen den Weg in die soziale und wirtschaftliche Katastrophe bereiten. Denn welche Perspektive erwartet sie? Die Auswahl ist nicht groß: Sie können Hamburger bei McDonald’s verkaufen, als Gefängniswärter ihresgleichen bewachen oder sich als Soldat in sinnlose Gefechte auf ausländischen Schlachtfeldern schicken lassen. Daran wird sich nichts ändern, wenn die Haushalte öffentlicher Schulen zusammengestrichen werden und eine Collegeausbildung zunehmend nur noch in privilegierten Reservaten der Kinder aus begüterten Elternhäusern stattfindet. In diesem Land ticken viele Zeitbomben.
Übersetzung: Jürgen Heiser
Mumia Abu-Jamal wird am Sonnabend 56 Jahre alt. Die Hälfte seines Lebens hat der jW-Kolumnist im Todestrakt verbracht. Sein Dank für Tausende Geburtstagsgrüße ist nachzulesen auf www.freedom-now.de