Kolumne 27.03.2010: Washingtons Pitbull

27.03.10 (von maj) Auch nach Netanjahus Besuch bestimmt Israel nicht die Außenpolitik der USA. Es ist umgekehrt

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 73 – 27./28. März 2010

Die Nachrichtensprecher der US-Medien berichten derzeit mit einem düsteren Unterton über die drohende Verschlechterung der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Israel. Das liegt natürlich auch daran, daß die US-amerikanische Staatsführung die Politik Tel Avivs in einem bislang ungekannt scharfen Ton öffentlich kritisiert. In der Vergangenheit war das anders. Sogar als Israel ausgedehnte militärische Attacken gegen seine Nachbarn durchführte, wie beispielsweise 2006 gegen Libanon, haben offizielle US-Vertreter wie die damalige Außenministerin Condoleezza Rice das brutale Vorgehen heruntergespielt. Sie erdreistete sich, das flächendeckende Bombardement eines souveränen Staates durch die israelische Luftwaffe als »Geburtswehen der Demokratie« zu bezeichnen.
Auch wenn Kritik selten geübt wird, kann sie eine fundamentale Tatsache nicht verdecken: Israel ist in der Re­gion der Pitbull des US-Imperiums und nicht umgekehrt. Es gibt sowohl unter Linken als auch Rechten viele Leute, die glauben, die israelische Staatsführung bestimme die US-Außenpolitik. Der kalifornische Autor Richard Becker, einer der Kodirektoren des von Ramsey Clark gegründeten International Action Centers (IAC) und unter anderem Vorstandsmitglied des Palästina-Solidaritätskomitees der USA, hat sich in seinem Buch »Palestine, Israel, and the U.S. Empire« näher mit dieser Frage befaßt. Er kommt zu dem Schluß, daß die Lobby des zionistischen Staates in den USA zwar finanziell und politisch großen Einfluß ausübt, es träfe in diesem Fall jedoch das Sprichwort zu, daß es nicht der Schwanz ist, der mit dem Hund wedelt. Die Israel-Lobby verfüge über viel Macht, weil es die herrschende Klasse und das politische Establishment der USA so wollten. Der Staat Israel diene ihnen als Instrument zur Niederhaltung der Befreiungsbewegungen der arabischen und anderen Völker im Nahen und Mittleren Osten. Was Becker in seinem Buch herausarbeitet, ist für jeden nachvollziehbar. Denn der Autor führt dazu beweiskräftige Dokumente an, die bisher kaum von der US-Presse veröffentlicht wurden.
Bereits 1951 gab es einen Leitartikel in der israelischen Tageszeitung Haaretz, die in Hebräisch und Englisch erscheint. In dem Beitrag wird die Rolle Israels in der Region thematisiert: »Deshalb hilft die Stärkung Israels den westlichen Mächten, Gleichgewicht und Stabilität im Nahen Osten aufrechtzuerhalten. Israel kommt dabei die Funktion des Wachhundes zu. Und wenn es irgendwann Schwierigkeiten mit Nachbarstaaten geben würde, könnte man sich mit Sicherheit darauf verlassen, daß Israel sie bestrafen würde, wenn die westlichen Mächte nur rechtzeitig beide Augen zudrückten.«
Der gegenwärtige verbale Schlagabtausch zwischen offiziellen Vertretern Tel Avivs und Washingtons ist nur ein kleines Intermezzo in einer langen Geschichte gegenseitiger fruchtbarer Beziehungen. Es geht beim Streit um den Siedlungsbau in den besetzten palästinensischen Gebieten einschließlich des arabischen Ostjerusalems um keine wesentlichen Widersprüche. Und in den derzeitigen Differenzen ist auch kein Signal eines Bruchs zwischen beiden Staaten zu erkennen. Es ist zu bezweifeln, daß sich in ein paar Monaten überhaupt noch jemand daran erinnern wird.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 28.03.2024 um 11:48:44 Uhr