Kolumne 20.03.2010: Ein seltsamer »Triumph«

20.03.10 (von maj) Wahlen hin oder her: Demokratie im Irak wird es unter dem Besatzungsregime niemals geben

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 67 – 20./21. März 2010

Knappe zwei Wochen nach der Parlamentswahl in Irak vom 7. März hieß es offiziell, daß sich Ministerpräsident Nuri Al-Maliki und sein schärfster Konkurrent, der frühere Regierungschef Ijad Allawi, ein Kopf-an-Kopf-Rennen lieferten. Laut der Hohen Wahlkommission des Landes vom 16. März betrug der Abstand zwischen Malikis Parteienbündnis »Rechtsstaat« und der »Irakischen Nationalbewegung« Allawis landesweit nur wenige tausend Stimmen.
Bis das amtliche Endergebnis auch seinen Weg in die Abgeschiedenheit des Todestrakts von Waynesburg, Pennsylvnia, gefunden hat, mögen noch viele Tage vergehen. Aber schon vor dem amtlichen Endergebnis und völlig ungeachtet dieses Zahlenspiels mit Prozentpunkten jubelten die US-Medien bereits kurz nach der Wahl über den »Triumph der Demokratie« im Irak. Für den durchschnittlichen Bürger des Zweistromlandes aber besteht der Alltag weiter aus einem Chaos von Unwirtlichkeit und Scheußlichkeiten.
Weite Teile des Landes und vor allem der ländlichen Gebiete leiden unter einer Elektrizitätsversorgung, bei der sich im Schnitt eine Stunde Strom mit zwölf Stunden »Black-out« abwechseln. Das Trinkwasser ist ungenießbar und stellenweise hochgradig verseucht. Nach einem kürzlich verbreiteten Bericht des britischen Senders BBC haben Vertreter des irakischen Gesundheitswesens schwangere Frauen in der fünfzig Kilometer westlich von Bagdad gelegenen Stadt Falludscha aufgefordert, ihre Kinder nicht auszutragen, da die Gefahr von Mißbildungen besteht. Die »Stadt der Moscheen« mit heute rund 300000 Einwohnern, die vorwiegend Sunniten sind, war im Krieg zu etwa 60 Prozent dem Erdboden gleichgemacht worden. Die US-Armee setzte in diesem ungeheuerlichen Akt der Zerstörung große Mengen uranhaltige Munition ein, die das Grundwasser der Stadt verseuchte. Dadurch sind nun auch die Ungeborenen von »entsetzlichen Mißbildungen« bedroht, wie es im BBC-Bericht hieß.
Über vier Millionen irakische Flüchtlinge haben das Land verlassen und leben seit nunmehr sieben Jahren in den Nachbarländern und anderen Teilen der Welt. Sie sind nicht in der Lage oder nicht mehr Willens in ihre Heimat zurückzukehren. Viele Iraker bezeichnen die Invasion und Besatzung durch die US-Truppen als den »Untergang« und beziehen sich damit auf die furchtbare Zeit der Zerstörung, Verwüstung, Erniedrigung und des Verlusts.
Können Wahlen im Stile der repräsentativen US-Demokratie an diesen Zuständen etwas ändern? Wohl kaum. Im kollektiven Bewußtsein der Weltbevölkerung sind diese Veranstaltungen nichts anderes als formale Akte zur Einsetzung von Marionettenregierungen, die den Laden im Interesse der US-amerikanischen Herren schmeißen sollen. Wie kann eine Nation wie die Vereinigten Staaten, die die demokratischen Rechte der eigenen Bevölkerung mit Füßen tritt und am 20. März 2003 einen auf Propagandalügen basierenden Krieg gegen Irak begonnen hat, sich einbilden, in diesem geschundenen Land eine Demokratie nach westlichem Muster aufzubauen? Washington kann zwar versuchen, der Welt vorzugaukeln, »Wahlen« in Irak ermöglicht zu haben. »Demokratie« kann es aber unter einem Besatzungsregime niemals geben.

Übersetzung: Jürgen Heiser


Ausdruck von: http://freedom-now.de/news/artikel610.html
Stand: 23.11.2024 um 14:29:49 Uhr