Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 25 – 30./31. Januar 2010
Der gescheiterte Anschlag auf Flug 253 der Northwest Airlines von Amsterdam nach Detroit während der Weihnachtstage 2009 hat US-Präsident Obama zu einer Neubewertung der Arbeit der US-Geheimdienste veranlaßt. Fehler der Dienste sollen die Beinahekatastrophe erst möglich gemacht haben. Mit einer verbesserten Zusammenarbeit der verschiedenen Nachrichtendienste, schärferen Analysen und verstärkter Aufmerksamkeit für Details sollen künftige Gefahrenlagen besser gemeistert werden.
War dieses Ziel aber nicht schon nach dem 11. September 2001 formuliert worden, als die Regierung unter George W. Bush eine gigantische Superbehörde wie das Heimatschutzministerium gründete? Sollte diese übergeordnete Behörde nicht die Koordination der enormen Flut von Informationen und Ermittlungsergebnissen der zahlreichen US-Geheimdienste übernehmen, die traditionell in Konkurrenz zueinander stehen?
Vor langer Zeit schon beschwerte sich US-Träsident Harry Truman, 33. Präsident der USA (1945–53), gegenüber einem Freund: »Als ich mein Amt übernahm«, schrieb Truman in diesem Brief, »lag es nicht in der Macht des Präsidenten, die weltweit tätigen Geheimdienste zu koordinieren.« 1947 wurde die Central Intelligence Agency (CIA) gegründet, die aus dem Office of Strategic Services (OSS) hervorging. Schon bald entwickelte die CIA eine Hausmacht, die sich der Kontrolle durch das Weiße Haus entzog und der folglich nur wenige Präsidenten trauen konnten. Entgegen der Absicht Präsident Trumans, einen zentralen Nachrichtendienst zur weltweiten Informationsbeschaffung zu schaffen, hatte die Geheimdienstzentrale nämlich andere Vorstellungen entwickelt. »Sie sollte keine Einrichtung von Verschwörern werden«, schrieb Truman in dem bereits erwähnten Brief. »Sie war gedacht als eine Zentrale, die den Präsidenten mit Informationen darüber versorgen sollte, was in der Welt vorging.« Laut Tim Weiner, Autor des Buches »Legacy of Ashes: The History of the CIA« (2007), wollte Truman nicht, daß die CIA »als Spionageorganisation agiert«. Letzten Endes ging es aber nicht darum, was der Präsident wollte. Präsidenten steuern nicht die CIA, die CIA steuert sie.
Angesichts der Rolle der Geheimdienste bei den Anschlägen des 11. September 2001 sowie der Lügen und Verdrehungen, mit denen der Krieg gegen Irak gerechtfertigt wurde, sollte es nicht überraschen, daß sich die Nation nur etwa zehn Jahre später wieder mit einem zum »Mini-11.-September« hochgespielten Zwischenfall konfrontiert sah. Einem Vorfall zumal, mit dem fortan die Verschärfung der Außen- und Sicherheitspolitik gegenüber der Republik Jemen begründet wurde. Kontrolliert der Geheimdienst die für den Präsidenten bestimmten Informationen, dann kontrolliert er auch seine Entscheidungsmöglichkeiten.
Andererseits ist die Illusion des US-Präsidenten von der ihm eigenen Macht so verlockend wie schon zu Zeiten der römischen Imperatoren. Folglich sieht er in seinem Bemühen, die Welt zu kontrollieren und den eigenen Interessen gemäß zu verändern, die CIA als Werkzeug an. Ein Staatschef, der Ihnen nicht gefällt, Herr Präsident? Ordnen Sie seine Beseitigung an! Eine Regierung, die Ihnen in die Quere kommt? Wir kaufen sie, Herr Präsident! Dazu ist die CIA schließlich da.
Wer daran zweifelt, sollte Tim Weiners Buch lesen. Er analysiert darin einen Geheimdienst, der mit US-Präsidenten wie mit Jojos gespielt und Verbrechen im In- und Ausland begangen hat. Und der alles andere getan hat, als die Bevölkerung des eigenen Landes zu schützen.
Nur für einen Moment hatte es nach dem 11. September 2001 den Anschein, als würde die CIA wegen ihrer Mißerfolge aufgelöst werden. Doch dieser Moment war bald verflogen. Angesichts der überproportional angewachsenen Zahl von Geheimdiensten und der Menge nachrichtendienstlich erhobener Daten wird es schwierig abzugleichen, auszusieben, Zusammenhänge zu verstehen und das Handeln danach auszurichten. Also sucht man im Weißen Haus nach neuen Regelmechanismen – bis zum nächsten Vorfall.
Übersetzung: Jürgen Heiser