Kolumne 19.12.09: Die alten Programme

20.12.09 (von maj) US-Präsident Obama macht bruchlos da weiter, wo sein Vorgänger Bush aufgehört hat

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 294 - 19./20. Dezember 2009

Für viele steht die Kandidatur Barack Obamas für das Amt des US-Präsidenten für einen derart tiefgreifenden Wandel, daß sie glaubten, ja hofften, die Präsidentschaft Obamas nach Erringen des Wahlsieges werde dem Land nicht nur grundlegende soziale Veränderungen, sondern vor allem ein Ende des US-amerikanischen Kriegstraumas bringen. Deshalb bedeutet die Entscheidung der Obama-Regierung, die Truppen in Afghanistan deutlich aufzustocken, für jene Gutgläubigen, daß sich ihre Hoffnungen zerschlagen haben. Und es werden noch nicht die letzten gewesen sein, die vor ihren Augen zu Staub zerfallen.
Viele dieser Menschen haben die USA niemals als das Imperium gesehen, das es ist, weswegen sie auch nur schlecht darauf vorbereitet waren, einsehen zu müssen, daß ausnahmslos jeder US-Präsident nach immer größerer Ausweitung seiner Machtbefugnisse hungerte, und das es für ein Imperium unabdingbar ist, seine Macht auszudehnen, statt sie einzudämmen.
Viele Kritiker der teuren und gefährlichen Machtpolitik der Regierung unter Expräsident George W. Bush, ihrer Geheimgefängnisse, Telefonüberwachung und ihres Hangs zu einer totalen Überwachung aller Bürger im In- und Ausland, sind erstaunlich schweigsam angesichts der Tatsache, daß auch unter dem neuen Amtsinhaber die gleiche Machtpolitik betrieben wird, oftmals sogar von denselben Personen, die auch schon für Bush gearbeitet haben.
Die Geheimgefängnisse? Immer noch da. Verschleppung von Gefangenen in ausländische Folterlager der CIA? Wird fortgesetzt. Das Abhören von Telefonen? Geht unvermindert weiter. In Wirklichkeit hat sich wenig geändert, nur der Ton der öffentlichen Auseinandersetzung ist zurückhaltender geworden. Nicht mehr so bombastisch, weniger polternd, mit bedeutend weniger Angstmache. Aber im wesentlichen stehen die Programme der abgewählten Bush-Regierung immer noch auf der Tagesordnung. Auch die auf der Basis von Propagandalügen und aus Macht- und Habgier angezettelten Kriege werden fortgesetzt, weil sie nach wie vor als notwendig erachtet werden.
Aber es gibt noch ein anderes Problem, dessen Dramatik heute nur zu erahnen ist. In den nächsten fünf Jahren werden viele der Soldaten, die in diesen Kriegen gekämpft haben, in die USA zurückkehren. Nach dem Ende ihrer militärischen Dienstzeit werden sie neue Jobs brauchen und als Gefängniswärter, Polizisten und Experten für Sicherheitsdienste arbeiten. Viele dieser ehemaligen Soldaten werden innerlich sehr verbittert sein und einen stillen Haß schieben, weil sie wie andere Kriegsheimkehrer und Veteranen der Generationen vor ihnen früher oder später realisieren werden, daß sie nicht zum Schutz ihrer Landsleute oder gar zum Schutz der US-Verfassung gekämpft haben, sondern für die Interessen der wohlhabenden Herrschenden, die sich wenig um das Leben der Soldaten und das Elend des Krieges scheren. Welche Folgen wird der seelische Zustand dieser Kriegsheimkehrer für die US-Gesellschaft, und welchen Einfluß wird das auf die Zukunft des Landes haben?
Vor rund neunzig Jahren, am Ende des Ersten Weltkrieges, kehrten Soldaten verbittert aus dem Elend des Krieges zurück und fühlten sich durch das Diktat des Versailler Vertrages gedemütigt. Diese deutschen Kriegsheimkehrer entwickelten sich zu einer rechten politischen Kraft, und sie waren das Fundament, auf dem später das faschistische Nazireich errichtet wurde, das seinen Rachefeldzug gegen den Rest Europas entfesselte. Schon dieses eine Beispiel zeigt, daß Kriege niemals beendet sind, wenn Politiker und Diplomaten Verträge oder Friedenspakte geschlossen haben.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 23.11.2024 um 14:44:03 Uhr