Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 247 - 24./25. Oktober 2009
Nicht erst, seitdem US-General Stanley McChrystal vor der NATO-Tagung in Bratislava erklärte, er brauche mehr Truppen, »um ein Scheitern der Mission zu verhindern«, ist klar, daß der Afghanistan-Krieg schnell beendet werden muß. Schließlich nimmt er eine völlig andere Entwicklung, als die vorige und die amtierende US-Regierung es geplant haben. Dieser Krieg wurde unter dubiosen Umständen begonnen. Er war mehr ein demonstrativer Akt, galt als Vorspiel für das wirkliche Drama, das sich mit der Besetzung Iraks entwickeln sollte. In den 1980er Jahren war Afghanistan Schauplatz eines Stellvertreterkrieges, den von den USA gut ausgerüstete und in den Kampf geschickte Mudschaheddin gegen die Sowjetunion ausfochten, während die Vereinigten Staaten sich im Hintergrund hielten.
Der 11. September 2001 hat diese Konstellation jedoch völlig verändert. Und heute, acht Jahre später, erinnert die tragische Rolle des Barack Obama mehr und mehr an jene eines Kongreßabgeordneten der Demokratischen Partei, der ebenfalls US-Präsident wurde: Lyndon B. Johnson. Er regierte von 1963 bis 1969. Auch dieser übernahm einen Krieg von seinem Vorgänger und entschied sich dann, ihn zu eskalieren. Stichwort Vietnam. Vielleicht werden wir niemals ganz genau erfahren, warum auch Johnson sich damals gezwungen sah, die Truppen zu verstärken, obwohl er insgeheim längst wußte, daß die Sache verloren war.
Einen Einblick in sein Denken jedoch ermöglichen Johnsons Kommentare gegenüber führenden Kongreßabgeordneten zur bewaffneten US-Intervention in der Dominikanischen Republik im Jahr 1965. Johnson befahl das militärische Eingreifen Zehntausender US-Soldaten, um einen Volksaufstand auf der Insel niederzuschlagen. Mit Joaquin Belaguer wurde ein rechter Diktator eingesetzt, der das Land im Verlaufe seiner ununterbrochenen dreißigjährigen Herrschaft gesellschaftlich in eine Wüste verwandelte. Kurz nach dem Einmarsch zitierte Johnson zwei republikanische Parlamentarier ins Weiße Haus, Senator Everett Dirkson und den Abgeordneten des Repräsentantenhauses, Gerald Ford, und brüstete sich vor ihnen: »Ich habe jetzt Maßnahmen ergriffen, die beweisen, daß demokratische Präsidenten genauso hart gegen Kommunisten vorgehen können wie republikanische.«
Die Dominikaner mußten jahrzehntelang ihr Dasein unter einem Diktator fristen, der eine Marionette der USA war. Ihnen wurde ihr Recht verweigert, in freien Wahlen eine souveräne Regierung zu bestimmen, und sie litten unter einer unbeschreiblich brutalen Repression, nur damit ein US-Präsident Stärke und politische Überlegenheit gegenüber seinen Widersachern in der gegnerischen Partei demonstrieren konnte.
Obama sieht sich nun mit seinem Versprechen, eine »neue Politik« wagen zu wollen, einer verbissen gegen ihn agierenden innerstaatlichen Opposition gegenüber, wie noch kein anderer Präsident vor ihm in der Geschichte der USA. Wie würde diese Opposition wohl reagieren, würde er den Rückzug aus Afghanistan befehlen? Das Gezeter und Geschrei seiner politischen Gegner wäre sicher ohrenbetäubend. »Schwäche gegenüber dem Terrorismus«, »Verrat am afghanischen Volk« würden die Vorwürfe unter anderem lauten.
Für Präsident Johnson wurde Vietnam zum Trauma – zu einer Art Treibsand, der ihn und seine Innen- und Außenpolitik verschlang und aus dem es kein Entrinnen mehr gab. Präsident Obama führt Krieg in einer Region, die als »Friedhof der Imperien« gilt. Ihn wird der Treibsand noch schneller in die Tiefe ziehen. Es ist seine Entscheidung, ob er den Einsatz ausweitet oder einen raschen Rückzug seiner Truppen veranlaßt. Also ob Afghanistan für ihn das wird, was es für die Sowjetunion war; ob das Land am Hindukusch für die USA ein neues Vietnam wird.
(Übersetzung: Jürgen Heiser)