Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 224 - 26./27. September 2009
Seit 2001 versuchen die USA, ihre militärischen Abenteuer und Invasionen im Ausland als Export der Demokratie zu verkaufen, als wenn Demokratie ein Sack Weizen oder ein Faß Öl wäre. Nur wenige Präsidenten der Gegenwart haben darüber derart oft und ausufernd gesprochen wie Expräsident George W. Bush und sein Kabinett. Und nur wenigen wurde so wenig Glauben geschenkt wie ihm. Wieder und wieder hat er zynisch darüber gesprochen, wie friedfertig Demokratien angeblich seien, während er auf einem täglich anwachsenden unsichtbaren Berg von Bombenopfern der US-Luftwaffe stand.
Viele Fürsprecher des Krieges in Afghanistan schieben das Argument vor, dem Land solle die Demokratie gebracht werden, um die imperialistische Invasion und Besetzung zu rechtfertigen. Die Einsetzung von Hamid Karsai als Staatspräsident soll dabei ebenso als Kristallisationspunkt dieses Demokratisierungsimpulses gelten wie die jüngst durchgeführten »demokratischen Wahlen«. Vielleicht hat der weltmännische Karsai seine Lektion als politische Führungskraft zu gut gelernt. Als Indikatoren dafür mögen die explosionsartige Zunahme der Verwendung gefälschter Wahlzettel, die allgemeine Korruption und viele weitere Rechtsverstöße gelten.
US-Bürger wissen das eine oder andere über gestohlene und gefälschte Wahlen. Die beiden Präsidentschaftswahlen der Jahre 2000 und 2004, in denen George W. Bush für die Republikanische Partei kandidierte und seine fragwürdigen Siege davontrug, waren Paradebeispiele dafür.
Mit Demokratien ist es aber wie mit guter Küche: Am besten gedeihen sie zu Hause, politisch gesehen also im eigenen Land mit den landesüblichen Ingredienzen. Bajonettbewehrte ausländische Truppen sind wenig geeignet, demokratische Verhältnisse einzuführen. Karsai ist das Musterbeispiel einer Marionette, deren Fäden unsichtbar bleiben, obwohl allen klar ist, wer an ihnen zieht. Er wurde britisch erzogen und wird von den USA bezahlt und beschützt. Faktisch regiert er nicht ganz Afghanistan, sondern sein Herrschaftseinfluß beschränkt sich auf die Landeshauptstadt, weswegen er eigentlich nicht mehr ist als der Bürgermeister von Kabul. Er steht einem Kabinett von Drogenhändlern und Warlords vor, und entgegen seinem Amtstitel wird er eher von ihnen geführt und kontrolliert als umgekehrt. Seit jeher kann er seinen afghanischen Landsleuten nicht anders begegnen als mit Argwohn und Mißtrauen, und selbst im Stammesgebiet seines Familienklans hat er nur so wenig Unterstützung, daß er eine Leibwächtergarde aus bulligen, kurzgeschorenen US-Amerikanern rekrutieren mußte. Man stelle sich einmal vor, was die Öffentlichkeit sagen würde, wenn Leib und Leben des US-Präsidenten von einer bewaffneten Horde ausländischer Söldner geschützt würde!
Afghanistan steht als »Demokratie« in einer Reihe mit Staaten wie Irak und Pakistan. Das Staatsgebilde wird nicht vom Willen des afghanischen Volkes, sondern von ausländischen Eliten und ihren örtlichen Kompradoren regiert. Trotz aller Propaganda kann und wird es kein Hort des Friedens sein. Dazu müßten erst einmal wirklich demokratische Verhältnisse hergestellt und die Geschicke des Landes von der eigenen Bevölkerung gelenkt werden. Afghanistan ist eine von Drogenbaronen gesteuerte »Narkokratie« oder eine von Dieben und Betrügern beherrschte »Kleptokratie«. Wer etwas anderes behauptet und weiterhin von »Demokratie« spricht, der lügt wider besseres Wissen.
(Übersetzung: Jürgen Heiser)