Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 158 - 11./12. Juli 2009
Die Wahl von Barack Obama zum US-Präsidenten hat die Welt derart elektrisiert, daß es scheint, als würden nur noch die Törichten an die jüngere Vergangenheit der US-Politik erinnern, die vor ihm das Weltgeschehen auf dramatische Weise bestimmte. Dafür sind sicher auch die herrschenden Medien verantwortlich, die schon seit einiger Zeit nicht mehr über das berichten, was aktuell passiert, die sich vielmehr darauf verlegt haben vorauszusagen, was passieren oder möglicherweise passieren wird, um schneller zu sein als die Konkurrenz. Nachrichten verwandeln sich so in Meinungen, in denen Obama auf unangemessene Weise zu einem der »Führer der Welt« aufgebaut wird.
Im Vorfeld der iranischen Präsidentschaftswahlen sagte die Berichterstattung einen sicheren Sieg des Oppositionskandidaten Mirhossein Mussawi und den Sturz des »jähzornigen« amtierenden Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad voraus. Basierend auf dieser Prophezeiung schwadronierten die Meinungsmacher in epischer Breite darüber, welchen Einfluß Obama auch auf diesen Wahlkampf ausgeübt habe. An dieser Stelle drängt sich die Frage auf: Wenn es nach der Veröffentlichung des amtlichen Wahlergebnisses in den US-Medien nur noch um die angeblich »gestohlenen Wahlen« in Iran und die Proteste dagegen ging, wieso fragt eigentlich niemand danach, warum im Jahr 2000 keine protestierenden US-Bürger durch die Straßen zogen, als es um die durch den Bush-Clan und den Obersten Gerichtshof gestohlenen Präsidentschaftswahlen in den USA ging?
Zurück zu Obama. Nachdem er in seiner Kairoer Rede von Israel ein Einfrieren der Besiedlung palästinensicher Gebiete gefordert hatte, stellten die westlichen Medien seine angeblich harte Haltung gegenüber der israelischen Regierung heraus. Die Außenpolitik der vorigen US-Regierung war also derart einseitig ausgerichtet, daß die Forderung nach einer Beendigung der illegalen Siedlungspolitik heute schon als »harte Linie« angesehen wird.
Die Rechte in Israel, darunter viele Anhänger des neugewählten Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, nahm dies zum Anlaß, Tel Avivs Straßen mit Plakaten zuzukleistern, die Obama in Anlehnung an seinen muslimischen Namen und Familienhintergrund mit einer arabischen Kuffieh als Kopfschmuck zeigen, überschrieben mit den englischen und hebräischen Reizwörtern »Judenhäscher« und »Antisemit«.
Das »Einfrieren« einer zutiefst ungerechten Siutuation bedeutet, einen Status quo zu konservieren. Im konkreten Fall würde das palästinensische Volk auf Dauer einer ungerechten und unhaltbaren Lage ausgeliefert bleiben. Obendrein ließ Netanjahu kürzlich verlauten, er lehne Obamas Forderung nach Einfrieren der Siedlungspolitik grundsätzlich ab, unterstütze aber die Etablierung eines palästinensischen Staates, wenngleich nur als demilitarisierte Zone und mit einer Außenpolitik unter Aufsicht Israels. Ein solcher Staat wäre nur so souverän, wie die früheren südafrikanischen Bantustans unabhängige Territorien waren im Verhältnis zum weißen Apartheidregime, nämlich gar nicht.
Palästinas Staatsgebiet sieht durch die israelische Besatzung und Siedlungspolitik aus wie ein Schweizer Käse, wobei die besten Landstriche an Israel verloren gingen. Das palästinensische Parlament tagt faktisch in einem Gefängnis, das Trinkwasser der Palästinenser wird von den israelischen Behörden rationiert, und nach wie vor werden ganze Wohngebiete mit Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht. Angesichts dieser Realität bedeutet das Gerede westlicher Politiker über einen »Friedensprozeß« nichts anderes als ein Einfrieren der Unterdrückung auf dem aktuell unerträglichen Stand. Und Israel, das nicht nur die am stärksten aufgerüstete Militärmacht, sondern auch die heimliche Atommacht der Region ist, kann sich zwar einen Staat Palästina, aber nur als »demilitarisierte Zone« vorstellen, während es gleichzeitig die Islamische Republik Iran mit einem »Präventivschlag« bedroht. Das ist der »Fortschritt«, wie ihn uns die westlichen Medien verkaufen wollen.
Übersetzung: Jürgen Heiser