Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 152 - 4./5. Juli 2009
Als der iranische Staat die Protestbewegung nach den Präsidentschaftswahlen einzudämmen versuchte, wurden vor allem im Westen Stimmen laut, die das drohende Ende der Islamischen Republik Iran voraussagten. Diese Propheten verglichen die heutige Protestbewegung mit der Islamischen Revolution von 1979, als sich breite gesellschaftliche Kräfte gegen die Herrschaft Schah Mohammad Reza Pahlavis, einem der engsten Verbündeten der USA, zusammenschlossen und die Dynastie der Pahlavis stürzten.
Aber kann man wirklich sagen, daß die heutigen Ereignisse vergleichbar sind mit jenen vor dreißig Jahren? Um diese Frage beantworten zu können, bedarf es mehr als einer gefühlsmäßigen Reaktion auf Bilder von Straßenkämpfen. Es setzt eine genaue Analyse, Einblick in die wirklichen Vorgänge und Weitblick voraus – Qualitäten, an denen es den Kommentatoren der bürgerlichen Medien bitter mangelt.
Die iranische Wissenschaftlerin Faridah Farhi nennt in ihrem 1990 an der University of Illinois veröffentlichten Buch »States and Urban-Based Revolutions: Iran and Nicaragua« als wichtigen Faktor für den Erfolg einer Revolution in einer modernen Agrargesellschaft »das Unvermögen administrativer und militärischer Maschinerien«, mit gesellschaftlichen Widersprüchen umzugehen. Ein weiteres wesentliches Element, das in einer revolutionären Situation seine Wirkungsweise entfaltet, sei die Existenz von »intermediären Klassen« in der Gesellschaft, wie sie um 1979 in den ökonomischen und traditionellen Zentren Irans, den Basaren und der Geistlichkeit, existierten. Dort hatten sich unabhängig vom Staat – und in Opposition dazu – Reichtum und gesellschaftliche Macht herausgebildet.
Aus 90.000 islamischen Geistlichen um Ajatollah Ruhollah Khomeini formte sich der revolutionäre Kern des Widerstands gegen den Schah. Erst dadurch waren die organisatorischen und ideologischen Mittel als Voraussetzung dafür vorhanden, die wachsende Bewegung bis an ihr Ziel zu führen. In Khomeini hatte diese Bewegung auch eine machtvolle Symbolfigur. Es gab noch weitere Faktoren – beispielsweise eine mehrheitsfähige Mobilisierung der Armen –, aber ohne die schon genannten Punkte hätte eine Revolution allenfalls begrenzte Chancen gehabt.
Über die »administrativen und militärischen Maschinerien« des heutigen iranischen Staates kann man manches sagen, aber sicherlich zeichnen sie sich nicht durch »Unvermögen« aus. Demgegenüber waren Militär und Regierung zur Zeit des Schah isoliert und wurden vom Volk wie die Pest gehaßt, so daß dem Herrscher nur noch die heillose Flucht blieb. Eine ständig wachsende Zahl von Menschen hatte sich auf die Seite des aufbegehrenden Volkes gestellt.
Die gegenwärtige iranische Opposition hingegen verfügt über keine zentrale Führungsperson wie Khomeini, sie ist jedenfalls derzeit nicht erkennbar. Es ist äußerst unwahrscheinlich, daß ausgerechnet Mirhossein Mussawi, der vom Westen in den Vordergrund geschoben wird, diese Rolle spielen wird. Er war nur einer der wenigen von der Staatsführung akzeptierten Wahlkandidaten. Wie Präsident Mahmud Ahmadinedschad ist auch er ein Veteran der Revolution von 1979 und genoß deshalb das Vertrauen des Klerus. Er sollte aber aus der damaligen Revolution gelernt haben, daß ihm das heute als Verrat an der Sache ausgelegt werden könnte.
Solange sich die derzeitige Opposition in Iran also nicht gewaltig ändert – was durchaus passieren kann –, ist sie keine revolutionäre Bewegung. Mit Demonstrationen allein ist noch keine Revolution zu machen. Sie mögen ein Vorbote für das sein, was noch kommt, aber wie Dr. Huey P. Newton, der Mitbegründer der Black Panther Party, in Anlehnung an William Shakespeares Drama »Julius Cäsar« einst sagte, müssen revolutionäre Bewegungen aus »härterm Stoff « sein.
(Übersetzung: Jürgen Heiser)