IVK-News-Ticker Nr. 12 / 6. Juni 2009
Einleitung
In den letzten Monaten gab es im Fall meines Mandanten Mumia Abu-Jamal bedeutsame juristische Entwicklungen. Er befindet sich jetzt seit fast drei Jahrzehnten in den Todestrakten Pennsylvanias. In den rechtlichen Auseinandersetzungen, die wir in seinem Namen führen, befinden wir uns im Moment sowohl vor dem Obersten Gerichtshof der USA (U. S. Supreme Court) in Washington D. C. als auch vor dem Staatsgericht von Philadelphia.
In diesem monumentalen Kampf geht es um Mumias Leben. Er befindet sich in höchster Gefahr wie nie zuvor seit seiner Verhaftung am 9. Dezember 1981!
Wie so viele in den Todeszellen ist auch Mumia ein Opfer von Armut, rassistischem Fanatismus, mangelhafter Verteidigung vor Gericht. Das gegen ihn ausgesprochene Todesurteil beruht auf einem unfairen Verfahren. Der Prozeßrichter [Albert Sabo] war ein Rassist, der meinen Mandanten einen »Nigger« nannte, den er zum Gefallen der Staatsanwaltschaft »grillen« wollte. Verteidiger, die anfänglich mit dem Fall befaßt waren, haben es versäumt, entscheidende Fakten sowohl aus dem Prozeß als auch aus den juristischen Schritten zur Erlangung eines Wiederaufnahmeverfahrens näher zu untersuchen und juristisch anzugreifen. Dadurch wurden die Möglichkeiten, Rechtsverstöße vor dem Supreme Court und dem US-Berufungsgericht zu rügen und überprüfen zu lassen, erheblich eingeschränkt.
Es folgt nun eine kurze Zusammenfassung der aktuellen juristischen Entwicklungen des Falles:
1. U.S. Supreme Court, Washington D.C.
Vor dem Obersten Gerichtshof sind zwei voneinander getrennte Berufungsverfahren anhängig. In dem einen geht es ausschließlich um das Todesurteil, während es in dem anderen um rassistische Motive der Staatsanwaltschaft bei der Geschworenenwahl geht.
a) Abu-Jamal v. Beard, U.S. Sup. Ct. No. 08-8483
In diesem Verfahren geht es um die rassistischen Motive des Bezirksstaatsanwalts von Philadelphia bei der Auswahl der Geschworenen, die sowohl über die Schuldfrage als auch über Leben und Tod meines Mandanten zu befinden hatten. Bei der Wahl der Geschworenen nutzte der Staatsanwalt 66,67 Prozent der ihm zustehenden Einsprüche, um Afroamerikaner aus der Jury auszuschließen.
Für einen Bundesrichter [Thomas L. Ambro] ist es klar erwiesen, daß die Art und Weise, wie der Staatsanwalt seine Einsprüche zum Ausschluß von Schwarzen einsetzte, rassistisch war und deshalb einen Verstoß gegen die Verfassung darstellt.
Der Bundesrichter, der in einer 2:1-Entscheidung des 3. Bundesberufungsgerichts gegenüber seinen beiden Richterkollegen seine abweichende Minderheitsposition deutlich machte, fand in den Akten überwältigende Beweise für den Rassismus der Staatsanwaltschaft. [Aktenzeichen Abu-Jamal v. Horn, 520 F.3d 272 (3rd Cir. 2008)]
Er erklärte, daß »[d]ie Kerngarantie des Gleichbehandlungsgrundsatzes, die die Bürger darin versichert, daß ihr Staat sie nicht wegen ihrer Hautfarbe diskriminieren wird, bedeutungslos wäre, wenn wir dem Ausschluß von Jurykandidaten auf der Basis [...] ihrer Hautfarbe zustimmen würden. [...] Ich widerspreche deshalb [dem Mehrheitsvotum der beiden anderen Bundesrichter] mit allem Respekt.«
Am 6. April 2009 lehnte es der Supreme Court ab, unseren Fall zu verhandeln. Wir waren von dieser Entscheidung aufs äußerste enttäuscht und geschockt, auch wenn uns bewußt war, daß dieses Gericht 98-99 Prozent der Fälle, die es überprüfen soll, ablehnt. Wir erwarteten eine andere Entscheidung, weil Mumias Fall außergewöhnlich ist, vor allem im Hinblick auf das starke Minderheitsvotum der Entscheidung des 3. Bundesberufungsgerichts.
Unsere streng auf die Wahrung der Verfassung ausgerichtete Position wurde gestützt durche eine Petition des NAACP Legal Fund, den ich darum gebeten hatte, den Rassismus in diesem Verfahren zum Thema zu machen. Tragischerweise negierte der Supreme Court seine eigenen Grundsatzentscheidungen, in denen das Gericht bislang festgestellt hatte, daß rassistische Motive bei der Geschworenenwahl einen klaren Verstoß gegen die Verfassung darstellen und notwendigerweise zu einem neuen Prozeß führen müssen.
In unseren umfangreichen Schriftsätzen haben wir überwältigende Beweise für das rassistische Verhalten des Staatsanwalts und die rassistisch aufgeladene Atmosphäre des Prozesses dargelegt. Am 1. Mai habe ich beantragt, daß sich der Supreme Court erneut mit diesen Fakten befaßt. Auch dieser Antrag wurde abgelehnt.
b) Beard v. Abu-Jamal, U.S. Sup. Ct. No. 08-652
Vor dem Supreme Court geht weiterhin um das völlig abgetrennte Berufungsverfahren, mit dem die Staatsanwaltschaft anstrebt, einen von uns im letzten Jahr vor dem 3. Bundesberufungsgericht erzielten Teilerfolg wieder aufheben zu lassen. Das Bundesgericht hatte [am 27. März 2008 unter dem Aktenzeichen Abu-Jamal v. Horn, 520 F.3d 272 (3rd Cir. 2008)] die Neuverhandlung über das Strafmaß – Todesurteil oder lebenslange Haft – vor einer Jury angeordnet. Staatsanwaltschaft und Verteidigung haben dazu zahlreiche Anträge gestellt. [Die Entscheidung erlangte allerdings wegen der Berufungsanträge beider Parteien noch keine Rechtskraft.]
Wegen der anstehenden Entscheidung in einem ähnlich gelagerten Fall, der vom Supreme Court zuerst entschieden werden soll, wird es nun möglicherweise noch Monate dauern, bis es zu dieser Frage in Mumias Fall zu einer abschließenden Entscheidung kommt. Wenn wir mit unseren Anträgen Erfolg haben, wird es eine Verhandlung vor einer neugewählten Jury geben. Setzt sich die Staatsanwaltschaft durch, wird sie danach auf eine baldige Hinrichtung drängen.
2. Staatsgericht (Court of Common Pleas), Philadelphia: Commonwealth v. Abu-Jamal, Nos. 1357-1359
Am 20. April 2009 haben wir einen Habeas-Corpus-Antrag vor dem Prozeßgericht in Philadelphia gestellt. In diesem Antrag geht es um den Fakt, daß Mumia auf der Basis unzuverlässiger und unvollständiger ballistischer Sachverständigengutachten, die von der Staatsanwaltschaft 1982 im Prozeß präsentiert wurden, verurteilt wurde. Wir haben auch beantragt, daß alle bislang zurückgehaltenen Beweise, die sich noch im Besitz der Staatsanwaltschaft befinden, offengelegt werden.
3. Entwicklungen in Europa
Der Schrei nach Gerechtigkeit in Mumias Fall ist vor allem in Europa sehr laut zu hören. Als Beispiel dafür nenne ich hier einen ausführlichen redaktionellen Beitrag, der am 17. Mai 2009 im San Francisco Chronicle erschien und vom Pariser Korrespondenten der Zeitung verfaßt wurde. Der Artikel beschreibt die Solidaritätsaktionen engagierter französischer Menschenrechtsaktivisten für Mumia, die in den USA schon einiges Aufsehen erregt haben. Der Beitrag kann unter der folgenden Adresse gelesen werden:
http://www.sfgate.com/cgi-bin/article.cgi?f=/c/a/2009/05/16/MN4517CARS.DTL
Bitte hier klicken![1]
a) BR Deutschland
In Berlin fand am 29. März in der angesehenen Akademie der Künste, die gleich neben der US-Botschaft am Brandenburger Tor gelegen ist, eine hervorragende Podiumsdiskussion über Mumia als Journalist, Autor und politischen Gefangenen statt. Die Veranstaltung war ursprünglich von der Berliner Schriftstellerin Sabine Kebir, dem Deutschen P.E.N.-Zentrum und Nicole Bryan initiiert worden. Es waren viele Besucher gekommen, die den Saal füllten.
Das Podium war folgendermaßen besetzt: Madame Danielle Mitterrand, die frühere First Lady Frankreichs; Klaus Staeck, Präsident der Akademie; Johano Strasser, Präsident des Deutschen P.E.N.; Günter Wallraff, ein sehr bekannter Autor; Gerhart Rudolf Baum, ein früherer Bundesinnenminister und Repräsentant der Vereinten Nationen; und ich selbst. Die Veranstaltung wurde auf Video aufgezeichnet und ist hier anzusehen:
http://www.adk.de/de/aktuell/forum_dokumentationen/forum_27.Akadgespr.html
Bitte hier klicken![2]
Im Engagement der Unterstützerinnen und Unterstützer in Deutschland zeigt sich vorbildliches politisches Handeln, vor allem von Kräften in Berlin, Hamburg and Bremen. Die beiden wichtigsten Organisationen, mit denen wir bestens zusammenarbeiten, sind: Das Internationale Verteidigungskomitee (IVK) aus Bremen und das Berliner Bündnis Freiheit für Mumia Abu-Jamal.
b) Frankreich
Die Solidaritätsbewegung für Mumia in Frankreich ist großartig. Sie wird angeführt von dem Kollektiv »Ensemble Sauvons Mumia Abu-Jamal« (Gemeinsam werden wir Mumia Abu-Jamal retten), das aus schätzungsweise 80 Organisationen besteht. »In Prison My Whole Life«, der hervorragende Film über Mumia, wird überall im Land gezeigt und findet auf Filmfestivals immer wieder großen Beifall. Am 15. März 2009 wurde er in Paris auf dem Menschenrechts-Filmfestival (Le Festival International du Film des Droits de l'Homme) mit dem Grand Prix und dem Planete Prix ausgezeichnet. In meinen beiden Reden während der Preisverleihungen nahm ich die Auszeichnungen nicht nur im Namen von Mumia an, sondern »im Namen aller Männer, Frauen und Kinder, die überall auf der Welt in Todestrakten sitzen«.
Die Produktion des Films wurde von Amnesty International unterstützt. Claude Guillaumaud-Pujol, französische Autorin des Buches »Mumia Abu-Jamal: The Voice of the Voiceless«, und ich hatten nach jeder Filmvorführung Gelegenheit, vor dem Publikum zu sprechen. Der Film wurde im letzten Oktober auch auf dem Internationalen Filmfestival in Lyon gezeigt. Mumia dankt besonders Jacky Hortaut [CGT-Gewerkschaftsführer] und den vielen Unterstützern in Frankreich für ihren Kampf um Gerechtigkeit.
c) Niederlande
Am 3. und 4. April 2009 wurde der Film »In Prison My Whole Life« auf dem Amnesty International Filmfestival »Filme, die etwas bewegen«, in Den Haag und Amsterdam gezeigt. Nicole and ich waren zu beiden Veranstaltungen eingeladen. Nach jeder Filmvorführung gab es eine Podiumsdiskussion, in der Arlette Stuip, die früher zusammen mit Mumia das Goddard College in den USA besucht hatte, Claude Guillaumaud-Pujol und ich über den Fall diskutierten und Fragen des Publikums beantworteten.
4. Spendensammlung für Mumias Verteidigung in und um Deutschland
Die juristische Verteidigung ist die vorderste Kampflinie für Mumias Leben und Freiheit. Seine Verteidigung braucht dringend Unterstützung. Die Kosten unserer Rechtsmittel in zwei Verfahrenszügen vor dem Obersten Gerichtshof sind beträchtlich. Wer helfen möchte, überweise in Deutschland und den europäischen Nachbarländern bitte auf folgendes Spendenkonto des Bremer IVK:
Archiv 92/Sonderkonto Jamal
S.E.B. Bank Bremen
Konto-Nr. 100 8738 701 (BLZ 290 101 11)
Stichwort »Verteidigung«
(Überweisungen aus EU-Ländern:
IBAN DE78 2901 0111 1008 7387 01 – BIC: ESSEDDE5F290)
Fazit
Es ist eine ungeheuerliche Verletzung der Menschenrechte, daß Mumia nach wie vor im Gefängnis und im Todestrakt eingesperrt ist. Sein Leben hängt am seidenen Faden. In meiner beruflichen Laufbahn habe ich viele Gefangene, die von der Todesstrafe bedroht waren, erfolgreich verteidigt. Ich werde nicht eher ruhen, bis wir in Mumias Fall gesiegt haben. Der Kampf um Gerechtigkeit läßt uns keine andere Wahl.
Mit besten Wünschen und Grüßen,
Robert R. Bryan
Law Offices
2088 Union Street, Suite 4
San Francisco, California 94123-4117
[Übersetzung: IVK Bremen]
+++++Ende IVK-News-Ticker / 6. Juni 2009+++Ende IVK-News-Ticker / 6. Juni 2009++++++ Ende IVK-News-Ticker / 6. Juni 2009++++++++