Kolumne 30.05.09: Verraten und verkauft

30.05.09 (von maj) USA: Die Zeche der Krise müssen die kleinen Leute bezahlen, ganz egal, wer das Land regiert

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 124 - 30./31. Mai 2009

Die US-Wirtschaft befindet sich weiter im freien Fall, aber gerade in der Krise zeigt sich die Ungleichheit unter den Betroffenen. Denn während Unternehmen zweistellige Milliardenbeträge aus der Staatskasse erhalten, um sie vor dem Ende zu bewahren, erwartet man von Arbeitern und Angestellten, noch mehr »Opfer zu bringen«.
Die Manager an den Konzernspitzen haben trotz der von ihnen mitzuverantwortenden Krise keinerlei Einbußen zu erleiden. Angesichts von Mißwirtschaft, Verlusten und hausgemachten Problemen werden sie auch nicht aufgefordert, irgend etwas von dem zurückzuzahlen, was sie sich trotz der fatalen Lage ihrer Unternehmen großzügig selbst ausgezahlt haben. Ja, mehr noch, sie werden noch nicht einmal gefragt, was sie eigentlich mit den über 300 Milliarden US-Dollar gemacht haben, die bereits als »Rettungspakete« deklariert an sie und ihre Firmen geflossen sind. Sicher ist nur, daß sie vor allem nicht das gemacht haben, was sie hoch und heilig versprachen, als sie bei der Regierung um Sanierung ihrer Unternehmen aus Steuermitteln nachsuchten.
Die Automobilkonzerne baten vergeblich um Hilfszahlungen, wie sie die Banken erhalten hatten. Die politischen Eliten rieten den Vorständen sogar, die Wirtschaftskrise dazu zu nutzen, die Automobilarbeitergewerkschaften zu schleifen und mehr Arbeiter auf die Straße zu setzen sowie die Löhne und die Pensionsansprüche zu kürzen.
Wie verhält sich nun in diesem Zusammenhang US-Präsident Barack Oba­ma, dem gerade die vielen Stimmen aus Arbeiterkreisen die Regierungsübernahme ermöglicht haben? Wer Obama in der letzten Zeit reden hörte, dem muß bei seinen folgenden Worten dessen Vorgänger George W. Bush vor dem geistigen Auge erschienen sein: »Die Gewerkschaften und die Arbeiter, die bereits ungeheuer schmerzhafte Zugeständnisse gemacht haben, werden zu noch stärkeren Konzessionen bereit sein müssen.«
Die 1935 gegründete Automobilarbeitergewerkschaft UAW (United Automobile, Aerospace and Agricultural Implement Workers of America) ist die größte Gewerkschaft Nordamerikas, unter deren Dach 513000 Beschäftigte und 575000 Ruheständler aus den USA, Kanada und Puerto Rico organisiert sind. In den letzten Jahren hat die ehemals verhandlungsstarke und kämpferische UAW viele Positionen aufgeben müssen. Beispielsweise haben die Automobilkonzerne vor Jahren einen Tarifvertrag durchgedrückt, wonach neueingestellte Arbeiter einen Zeitarbeiterstatus bekommen und nur noch die Hälfte des Lohns der Stammbelegschaften erhalten.
Wie kann es nur sein, daß ausgerechnet all jene, die sowieso schon so gut wie nichts haben, davon auch noch immer mehr abgeben sollen? Jahrzehntelang glaubten viele Leute, daß sich die Demokratische Partei stärker der Arbeiterschaft verbunden fühlte, und gaben ihr bei Wahlen immer wieder ihre Stimme. Wie aber konnte dieser Glaube noch aufrechterhalten werden, nachdem die Demokraten unter US-Präsident William Clinton das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) beschlossen und damit die Abwanderung vieler Unternehmen in Billiglohnländer förderten? Die Arbeiterinnen und Arbeiter hatten den Demokraten sicher nicht ihre Stimme gegeben, damit sie eine Politik inszenierten, die ihnen Arbeitslosigkeit und Lohndrückerei brachte. 1990 sagte Kevin Phillips, der wichtigste Analytiker der Republikanischen Partei, über die Demokratische Partei, sie stehe »auf Platz zwei aller enthusiastischen prokapitalistischen Parteien der Geschichte«.
Schaut man sich die Spitzenverdiener unter den Vorständen US-amerikanischer Konzerne an, dann stößt man auf Leute wie Rick Wagoner, dem von Obama geschaßten Chef von General Motors, der zum Abschied immerhin noch 23 Millionen US-Dollar aus Pensionsansprüchen erhielt. Das alles geschieht unter einer Regierung, der so viele Millionen Menschen hoffnungsvoll ihre Stimme gegeben haben. Man dankt es ihnen – mit noch mehr Verrat an ihren existentiellen Interessen.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 23.11.2024 um 15:35:40 Uhr