Wenn man sich die Reaktionen auf die Wahl Senator Barack Obamas aus dem US-Bundesstaat Illinois zum Präsidenten der USA anschaut, dann kann man sie am besten mit dem Wort »Jubel« zusammenfassen. Das wundert nicht, denn wenn je ein Politiker die Zeichen der Zeit verstanden hat, dann Barack Obama. Umjubelt wurde er sowohl im Inland als auch international. In meinem ganzen Leben, das nun schon ein halbes Jahrhundert währt, kann ich mich an keine Präsidentenwahl erinnern, die eine derartige politische und bis in die Eingeweide spürbare Reaktion hervorgerufen hätte.
Die US-Linke und die Zeichen der Zeit
Zur Rolle der Linken in diesem spektakulären Ereignis müssen wir feststellen, daß auch sie die Zeichen der Zeit verstanden hat, aber es waren die Zeichen, die die Mehrheit der Wähler gesetzt hatte, die sich nicht nur zusammenschlossen, um Obama zu wählen, sondern vor allem auch, um die US-Rechte mit ihrer ruinösen Politik vor die Tür zu setzen. Stellvertretend galt dieser Rausschmiß dem amtierenden Präsidenten George W. Bush und seinen mutmaßlichen politischen Erben von der Republikanischen Partei, Senator John McCain aus Arizona und Alaskas Gouverneurin Sarah Palin.
Obwohl die US-Linke ein konstituierender Teil dieser Mehrheit der Wählerschaft war, hat sie aber die Kräfte, die für Obama gestimmt haben, weder vorangetrieben noch gelenkt. In vielerlei Hinsicht war es die Linke selbst, die von diesen Kräften mitgerissen wurde.
Zu ihnen gehörten vor allem junge Leute zwischen 18 und 28, die auf eine bisher ungekannte Weise für Obama mobilisiert haben. Mobilisiert haben auch die Afroamerikaner, die so zahlreich wie noch nie zur Wahl gingen, weil Obama für sie einer der ihren ist. Und für ihn stimmten auch Millionen Frauen, von denen sich viele respektlos behandelt fühlten, als ausgerechnet Sarah Palin ausgewählt wurde, die, auch wenn sie eine Frau ist, durch einen erstaunlichen Mangel an Wissen und Fachkompetenz auffiel. Daß ausgerechnet sie Vizepräsidentin werden sollte, ließ Befürchtungen aufkommen, was passieren würde, wenn Senator McCain als gewählter US-Präsident die Anstrengungen des Amtes nicht überleben und Palin automatisch sein Amt übernehmen würde.
Man darf auch nicht jene Wählerschichten außer acht lassen, die sich von den Ultrarechten der Republikanischen Partei verraten oder nicht ernstgenommen fühlten, weil diese ihren Wahlkampf fast ausnahmslos auf der Linie aufbauten, Obama sei »Sozialist«, der sich – wie von Sarah Palin wieder und wieder zu hören war – »mit Terroristen einließ«.
Für das Ausland müssen diese Sprachformeln kurz entschlüsselt werden. Das Etikett »Sozialist« ist eine etwas moderatere, elegantere Version des Begriffs »Kommunist«, der wiederum das schlimmste Schimpfwort ist in der kapitalistischen Politik der USA. Es wird nur noch von dem nach dem 11. September 2001 wichtigsten Kampfbegriff »Terrorist« übertroffen. Und wenn man Obama schon als »Komplizen von Terroristen« hinstellte, war es nur folgerichtig, daß er selber einer sein mußte.
Den letzten Hinweis darauf sollte seine angebliche Freundschaft zu William Ayers liefern, einem ausgezeichneten Pädagogen, der in den 1960er Jahren Gründungsmitglied des Weather Underground war, einer Organisation von Aktivisten aus der Studenten-, Antikriegs- und antiimperialistischen Bewegung, die für Sachbeschädigungen an öffentlichen Gebäuden verantwortlich waren und die schwarzen Befreiungsbewegungen jener Zeit unterstützten.
Obama aber war nie ein Linker, egal wie man es auch dreht.
In der Frühjahrsausgabe 2008 des Magazins The Black Scholar bringt Charles B. Henry, Professor für Afroamerikanische Studien, es auf den Punkt, indem er sowohl Obama mit dessen eigenen Worten als auch aus seiner, im New York Times Magazine publizierten, politischen Vita zitiert.
Die von Obama wiedergegebenen Bemerkungen sind bemerkenswert:
»Die Demokraten erstarrten in ihrer Kontroverse über Vietnam, was bedeutete, daß man entweder ein »›Scoop‹-Jackson-Demokrat« war oder ein »Tom-Hayden-Demokrat« und sich in allen militärischen Fragen sofort verdächtig machte. Aber das ist einfach nicht mein Bezugsrahmen.«
Daß Obama gerade diese beiden Pole der Demokratischen Partei hervorhob, ist aufschlußreich: Senator »Scoop« Jackson war derart entschieden für den Vietnamkrieg, daß er »Senator von Boeing« (dem Hersteller der B-52-Bomber) genannt wurde. Tom Hayden gehörte im Gegensatz zu ihm als Student der Antikriegsbewegung an und war Mitglied des SDS – Students for a Democratic Society.
Wenn diese beiden Pole nicht Obamas Bezugsrahmen sind, sei noch angemerkt, daß er sich auch niemals als »Jesse-Jackson-Demokrat« bezeichnet hat.
Die Antikriegsbewegung war 2003 reale Gegenmacht
Das führt uns zur nächsten Frage, nämlich zum Zustand der US-Antikriegsbewegung. Kurz gesagt: sie liegt am Boden. Paradoxerweise ist das ausgerechnet auf die massiven Protestdemonstrationen des Frühjahrs 2003 gegen den drohenden Irak-Krieg zurückzuführen. Für Millionen Menschen waren diese Proteste ihre erste und bislang letzte Erfahrung mit Massenaktionen. Leider haben viele aus dieser Erfahrung die Lehre gezogen, sie beweise ihre Machtlosigkeit und nicht ihren Machtzuwachs. Und das nur, weil Bush die Proteste bedenkenlos ignoriert hat, stattdessen mit dem Säbel rasselte und mit der »Operation Schrecken und Ehrfurcht« seine Kriegsmaschinerie in Gang setzte.
Viele Menschen, die das Auf und Ab öffentlicher Proteste nicht gewohnt sind, machte ihr Scheitern, den Krieg kurzfristige nicht stoppen zu können, blind für das Besondere, das diese Demonstrationen bedeuteten, denn nie zuvor hatten die USA solche Massenproteste erlebt, bevor ein Krieg begann. An diesem Punkt war die Antikriegsbewegung eine reale Gegenmacht, der Kampf wurde nur viel zu früh aufgegeben.
Um analysieren zu können, ob Obamas Wahl für einen linken Aufschwung steht und ob die Antikriegsbewegung wieder neuen Auftrieb bekommt, müssen wir uns nur daran erinnern, daß Obama weder ein Linker ist noch ein Kriegsgegner. In der frühen Phase seines Wahlkampfes sprach er sich ausdrücklich gegen den Irak-Krieg aus. Anders in der letzten Phase, als er nur noch verkündete, der Rückzug der US-Truppen aus Irak sei notwendig für eine Aufstockung der Truppen in Afghanistan.
Wenn man sich nun die aktuellen Ereignisse anschaut, während diese Worte geschrieben werden, dann deutet sich an, daß es in den nächsten zwei Wochen möglicherweise mehr Antikriegsproteste in den USA gegen den israelischen »Blitzkrieg« in Gaza geben wird, als es sie in den letzten zwei Jahren gegen die Besetzung Afghanistans durch US-Truppen gegeben hat.
Das sagt kurz und bündig alles darüber aus, wo wir momentan stehen. Aber wo wir stehen, muß noch nicht notwendigerweise darüber entscheiden, wohin wir gehen. Menschen bewegen sich in kleinen Schritten oder in großen Sprüngen. Die Wahl Barack Obamas war zweifellos ein großer Schritt in der Geschichte der USA. Einen solchen Tag konnten weder George Washington noch Thomas Jefferson, Abraham Lincoln oder gar John F. Kennedy voraussehen.
Aber einer der am meisten verehrten schwarzen Historiker der USA, Vincent Harding (Autor des Klassikers »There Is A River«), sprach sicher nicht nur für sich, als er über Obama sagte:
»Ich richte meine ganze Hoffnung auf ihn, aber nicht auf ihn allein. Ich sehe die großen Energien, die sich in den vergangenen zwei Kampagnen-Jahren aufgebaut haben, und ich sehe die Möglichkeit, daß wir uns zusammenschließen und mit aller Macht die zentrale Frage aufwerfen, bei der es nicht darum geht, was Barack Obama als nächstes tun sollte, sondern in welche Richtung wir selbst gehen wollen. Worin sehen wir unsere Rolle als engagierte fortschrittliche Bürgerinnen und Bürger bei der praktischen Antwort auf die Frage, welche Schritte wir als nächste tun?«
Harding, ein enger Vertrauter von Reverend Dr. Martin Luther King jr., schloß seinen Kommentar über die Wahl Obamas mit einem passenden Hinweis: »Vielleicht braucht eine Demokratie viel eher Menschen, die ihre Gemeinden organisieren, als Befehlshaber.«
Es scheint, daß Dr. Harding deutlich machen will, daß wir anstelle eines Imperiums eine Republik brauchen. Denn wenn uns die Geschichte eines lehrt, dann das, daß diese beiden Realitäten unvereinbar miteinander sind. Im alten Rom bedeutete der Anbruch des Imperiums das Ende der Republik.
Im Jahr 193 vor unserer Zeitrechnung bestieg ein Afrikaner den römischen Thron: Imperator Septimius Severus weitete Roms Macht aus und stärkte das Imperium. Sein Sohn folgte ihm auf den Thron und übertraf ihn noch an Grausamkeit und Unmenschlichkeit.
Diese Herrscher brachten keinen Wechsel, sie sorgten für Kontinuität.
Wird das heutige Imperium einen anderen Weg einschlagen?
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit!
Aus der Todeszelle – hier spricht Mumia Abu-Jamal
Januar 2009
Übersetzung: Jürgen Heiser