IVK-News-Ticker Nr. 10 / 20. Oktober 2008
Aktuelle Stellungnahme von Robert R. Bryan, San Francisco vom 18. Oktober 2008
U.S. Supreme Court – Oberster Gerichtshof der USA, Washington D.C.
Es gibt neue Entwicklungen im Fall meines Mandanten, der immer noch in Pennsylvania in der Todeszelle sitzt. Seit seiner Verhaftung 1981 sind dies die dramatischsten Entwicklungen, die für Mumia eventuell tödlich enden können. Die Staatsanwaltschaft hat dem Supreme Court avisiert, daß sie die Aufhebung der Entscheidung des Bundesgerichts anstrebt, mit der eine Neuverhandlung über das Strafmaß – Todesurteil oder lebenslange Haft – vor einer Jury angeordnet worden war.
Wir befinden uns jetzt am Scheideweg. Im Kampf für Mumias Freiheit geht es jetzt um Leben oder Tod. Sein Leben hängt am seidenen Faden.
Es folgen Details dessen, was sich im Supreme Court ereignet hat:
Abu-Jamal v. Beard, U.S. Sup. Ct. No. 08A299
Am 3. Oktober habe ich einen Antrag auf Fristverlängerung für meinen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Richter David H. Souter hat dem Antrag am 9. Oktober stattgegeben. Die neue Frist wurde auf den 19. Dezember 2008 festgesetzt.
Im Namen von Mumia werde ich in diesem Antrag den Rassismus bei der Geschworenenauswahl und die falsche rechtliche Belehrung der Geschworenen durch den Staatsanwalt vor der Urteilsfindung im Prozeß von 1982 rügen. [Der gesagt hatte, die Jury könne ruhig das Todesurteil aussprechen, da der Angeklagte dann ja »Berufung nach Berufung« einlegen und die Aufhebung des Urteils erreichen könne. Anm. IVK] Diese rechtlichen Rügen der Verstöße gegen die US-Verfassung wurden vom 3. Bundesberufungsgericht in Philadelphia in der Entscheidung Abu-Jamal v. Horn, 520 F.3d 272 (3rd Cir. 2008) nicht anerkannt. In der Rassismus-Frage entschieden die drei Bundesrichter im Verhältnis 2 zu 1.
Wegen der gewichtigen abweichenden Meinung von Bundesrichter Thomas L. Ambro [in der Entscheidung vom 27. März 2008] haben wir bezüglich der rassistischen Motive der Staatsanwaltschaft bei der Auswahl der Geschworenen schwerwiegende Argumente vorzubringen. Richter Ambro stimmte dafür, ein neues Verfahren zu gewähren, und schrieb in seiner Begründung: »Wenn auch nur eine einzige Person wegen ihrer Hautfarbe von einer Jury ausgeschlossen wird, verstößt das gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung in unserer Verfassung.« Er schloß mit den Worten, daß jeder »das Recht auf einen fairen und vorurteilsfreien Prozeß vor einer Jury von seinesgleichen hat«.
Eins unserer Hauptprobleme ist, daß Mumias frühere Anwälte es in einigen Fällen unterlassen haben, wichtige Beweise vorzubringen und wesentliche Verfassungsfragen aufzuwerfen. Solche Unterlassungen sind unentschuldbar. Zum Beispiel haben seine Anwälte aus der Zeit von 1994 bis 2001 es unterlassen, sich die Kandidatenliste zu besorgen, aus der die Geschworenen ausgewählt wurden. Sie hatten die Namen und Adressen der Geschworenen und hätten nur losgehen müssen und sich die Informationen zu beschaffen. Das hätten sie an einem Tag geschafft. Als der Fall in die Berufung ging, war es längst zu spät, diesen wichtigen Beweisantrag zu stellen, der zweifellos den Beweis erbracht hätte, daß Afroamerikaner auf der Kandidatenliste unterrepräsentiert waren und daß die Staatsanwaltschaft bei der Geschworenenauswahl mit diskriminierenden rassistischen Praktiken vorgegangen ist. Bundesrichter Ambro hat in seinem abweichenden Schriftsatz betont, daß dieses Defizit angesichts der im übrigen nachgewiesenen rassistischen Motive der Staatsanwaltschaft nicht als Grund dafür dienen dürfe, die Gewährung eines neuen Verfahrens abzulehnen. Was den anderen Punkt des Rassismus und der Voreingenommenheit des Richters [Albert sabo] im Prozeß [von 1982] betrifft, so war diese Sache von vorn herein zum Scheitern verurteilt, weil die vorherigen Anwälte diesen Punkt nicht einmal vorgebracht haben. Stattdessen haben sie nur eingewendet, daß die Verhandlungsführung dieses Richters 13 Jahre später in der Anhörung wegen der Wiederaufnahme des Verfahrens im Jahr 1995 unfair war. Leider muß Mumia die Konsequenzen aus den Fehlern dieser Rechtsanwälte tragen.
Beard v. Abu-Jamal, U.S. Sup. Ct. No. 08A315
Der Bezirksstaatsanwalt von Philadelphia strebt die Aufhebung der Entscheidung des Bundesgerichts an, mit der eine Neuverhandlung über das Strafmaß – Todesurteil oder lebenslange Haft – vor einer Jury angeordnet worden war. Die Bezirksstaatsanwaltschaft will die Hinrichtung meines Mandanten durchsetzen. Das wurde in einem Ergänzungsantrag angekündigt, der an den Supreme Court gerichtet wurde. Das Gericht hat am 14. Oktober angeordnet, daß die Staatsanwaltschaft ihren Antrag bis zum 19. November 2008 stellen muß. Wir, die Verteidigung, werden dazu Stellungnahmen abgeben und der Argumentation für die Todesstrafe widersprechen.
Abu-Jamal v. Pennsylvania, US. Sup. Ct. No. 08-5456
In einer Entscheidung, die nicht im direkten Zusammenhang mit der nun vor dem höchsten US-Gericht anstehenden rechtlichen Auseinandersetzung steht, hat der Supreme Court am 6. Oktober eine Entscheidung gefällt, mit der unser Antrag zurückgewiesen wurde, der die Aufhebung einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs des Bundesstaates Pennsylvania zum Ziel hatte. Es ging dabei um die Ablehnung unseres Antrages für ein neues Verfahren. Diesen hatten wir damit begründet, daß die Staatsanwaltschaft Zeugen zu Falschaussagen angehalten hat, um die Verurteilung und das Todesurteil gegen meinen Mandanten durchsetzen zu können. Vorausgegangen waren verschiedene Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs Pennsylvanias und der unteren Gerichtsinstanz von Philadelphia. Der Bezirksstaatsanwalt argumentierte erfolgreich, Mumias frühere Anwälte hätten es versäumt, rechtzeitig und fristgerecht gegen diese Akte von Amtsmißbrauch vorzugehen. Auch wenn damit jetzt diese Beweismanipulationen nicht vor dem Supreme Court verhandelt werden, werde ich diese Fakten mit Sicherheit in einem neuen Prozeß vorbringen.
Fazit
Um Mumia aus dem Gefängnis zu befreien und ihn vor der Hinrichtung zu bewahren, ist jetzt entschiedeneres Handeln in der Kampagne und eine größere Unterstützung notwendig. Daß er überhaupt noch im Gefängnis und im Todestrakt sitzt, ist ein Affront gegenüber zivilisierten Standards und internationalen Rechtsgarantien. Wir müssen voller Hoffnung für Gerechtigkeit kämpfen.
Mit freundlichen Grüßen,
Robert R. Bryan
Law Offices
2088 Union Street, Suite 4
San Francisco, California 94123-4117
[Übersetzung: IVK Bremen]
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