Kolumne 18.10.08: Das Gemetzel des Marktes

18.10.08 (von maj) Was in der Finanzkrise als »Rettungsplan« firmiert, ist nichts anderes als ein beispielloser Amoklauf der Privatisierung

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 244 - 18./19. Okt. 2008

Mit der Verabschiedung des Gesetzes, das als Sanierungsplan für die Finanzwelt der Wall Street gedacht ist, ist in der ökonomischen und politischen Geschichte der USA eine bedeutende Schwelle überschritten worden. Wie nie zuvor hat sich gezeigt, daß die Herrschenden alles durchsetzen können, wenn sie nur genug Angst und Schrecken verbreiten. Wie schon beim Freibrief für den Irak-Krieg mußte im US-Kongreß nur genug Druck erzeugt werden, und schon standen alle Parlamentarier »Gewehr bei Fuß«. Auch angesichts der Finanzkrise wurde jetzt wieder eine Angstlawine ausgelöst. Tagtäglich erzielt die Presse gute Auflagen mit Schlagzeilen, die Angst und Panik erzeugen sollen, genauso wie sie vor dem Irak-Krieg mit dem Verkaufen von plattem Patriotismus und ihrer Propaganda vom »Krieg gegen den Terrorismus« gute Geschäfte gemacht haben.
Statt Aufklärung über die Hintergründe des Finanzdebakels zu betreiben, werden rührselige Geschichten über Einzelschicksale veröffentlicht. Da geht es um den »401 (k)«-Rentensparer – so genannt nach Steuergesetz Nummer 401, Absatz (k) – der im Finanzcrash seine gesamte künftige Rentenversorgung verloren hat. Oder es geht um ausgesuchte Betroffene aus der Realwirtschaft, die durch die Krise bereits ihren Job verloren haben. Ziel ist immer das Schüren von Ängsten in der Bevölkerung, jeder könnte jetzt seinen Job verlieren, und die Rentenvorsorge von Millionen würde jetzt unweigerlich zu Asche zerfallen. Ergänzend dazu wird permanent in großen Lettern der jeweils aktuelle Absturz des Dow-Jones-Index veröffentlicht oder in die laufenden Nachrichtensendungen eingeblendet. Vor dem Hintergrund dieser pausenlosen Propaganda meinten die Abgeordneten des US-Kongresses nicht mehr anders zu können, als von ihrem anfänglichen Nein zum 700-Milliarden-»Rettungsplan« zum Ja überzugehen. Fertig war der große »Deal«.
Das Schauspiel, das uns die beiden staatstragenden Parteien der Republikaner und Demokraten jetzt geliefert haben, steht einmalig da in der Geschichte als der größte Transfer von gesellschaftlichem Reichtum in private Hände. Ein beispielloser Amoklauf der Privatisierung. Das Ganze ist nichts als eine Sanierung des privaten Bankensystems und die Schuldenübernahme durch den Staat, aber die Medien und ihre politischen Hintermänner wollen, daß wir es als eine »Rettungsaktion« begreifen. Aber wer wird hier gerettet? Die einfachen Sparer und Steuerzahler? Was für ein Unsinn!
Welche Regierung soll das sein, die sich um das Wohlergehen der Mehrheit schert? Eine Regierung etwa, die die Vernichtung von Millionen von Arbeitsplätzen ermöglicht, die das öffentliche Bildungssystem ruiniert, die einen endlosen Krieg auf der Basis von Lügen begonnen und die zugelassen hat, daß Millionen von Eigenheimbesitzern zwangsvollstreckt und auf die Straße geworfen wurden? Und die schließlich den Banken praktisch die Staatsfinanzen überantwortet hat? Eine Regierung, der es wirklich um das »Wohl des Volkes« gegangen wäre, hätte es nicht sehenden Auges in diese Katastrophe geführt.
Dieselbe Regierung, die monatelang dafür eingetreten ist, das Sozialversicherungssystem zu privatisieren, also die Altersvorsorge der Mehrheit der US-Bürger in Aktienkapital zu verwandeln, kam jetzt mit diesem glorreichen »Rettungsplan« heraus. Hätte sich die Regierung mit ihrem Privatisierungsvorhaben durchgesetzt, dann wären jetzt mehr als 40 Millionen US-Bürger – nämlich alle, die älter als 65 Jahre sind – völlig pleite. Was die Regierung auf die eine Weise nicht geschafft hat, hat sie nun auf die andere hinbekommen, denn das Finanzloch, das die zu erwartenden drei Billionen US-Dollar Defizit in die Rentenkassen reißen werden, bedroht viele.
Wenn man eine Regierung wählt, die für sich damit wirbt, »staatliche Einmischung« zurückzudrängen, für Deregulierung zu sorgen und das »freie Spiel des Marktes« zu fördern, dann bekommt man eben folgerichtig auch ein solches ökonomisches Gemetzel, bekommt diesen »crony capitalism« mit seiner engen personellen Verflechtung von Wirtschaft und Politik und ein wachsendes Elend für Millionen von Menschen. Letztendlich bekommt man die völlige Privatisierung des Staates und seine Vermietung an das Privatkapital.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 23.11.2024 um 14:57:17 Uhr