Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 215 - 13./14. Sept. 2008
Für die Zeit der Gedenkveranstaltungen zum 11. September 2001 haben der demokratische Präsidentschaftsbewerber Barack Obama und sein republikanischer Gegenspieler John McCain gemeinsam erklärt, den Wahlkampf um den Einzug ins Weiße Haus auszusetzen. Laut Obama ist der 11. September der Tag, an dem »Schwarze und Weiße, Latinos und Asiaten aus allen Gegenden des Landes, Angehörige jedweder Religion und sozialer Schicht ... auf schreckliche Weise« hätten lernen müssen »zusammenzurücken«. Obama weiter am Mittwoch in Washington: »Im dunkelsten Moment haben wir hier in Amerika verstanden, daß wir am Leben der anderen teilhaben und als Nation gemeinsam aufsteigen oder fallen.«
An der Art und Weise, wie die beiden US-Präsidentschaftskandidaten die historische oder aktuelle politische Realität des Landes ihren jeweiligen Wahlkampfstrategien unterordnen, zeigt sich, daß die Politik im Zweiparteiensystem der USA eine Form des Krieges ist – des Krieges um die Köpfe. Dies bewies zuletzt Wahlkämpfer McCain, als er die Gouverneurin von Alaska, Sarah Palin, als seine künftige Vizepräsidentin vorstellte. Natürlich spielen dabei Palins politische Positionen und ihr gutes Verhältnis zu den Ölkonzernen, denen sie in Alaska eine nahezu ungehinderte Erdölförderung gestattet, eine gewichtige Rolle. Sie wurde von ihrer Partei aber vor allem deshalb quasi aus dem Nichts auf den Schild gehoben, weil sie mit der Nominierung einer Frau für das zweithöchste Amt im Staat in ein Vakuum stoßen will, das die Wahlkampfleitung der Demokratischen Partei hinterlassen hat. Viele Wählerinnen wollten nämlich ihre Stimme den Demokraten geben, um die Kandidatin Hillary Rodham-Clinton zur ersten Präsidentin in der Geschichte der USA zu machen. Diese Wählerinnen fühlten sich vor den Kopf gestoßen, als nicht die im Vorwahlkampf unterlegene Senatorin Clinton, sondern Senator Joseph Biden zum Kandidaten für den Stellvertreterposten an Obamas Seite bestimmt wurde. Diese enttäuschten Wählerinnen wollen die Republikaner mit ihrer Vizekandidatin Palin auffangen.
Auch wenn dieser Schritt durchschaubar ist, heißt das nicht zwingend, daß McCain damit keinen Erfolg haben wird. Denn es wird seine Wirkung nicht verfehlen, wenn angesichts des neuen historischen Bodens, den Obama mit seiner eigenen Kandidatur als Schwarzer betritt, auch McCain etwas vorher nie Dagewesenes tut, nämlich zum ersten Mal in der Geschichte seiner »Grand Old Party« eine Frau für dieses hohe Regierungsamt vorzusehen.
Viele Mitglieder der Demokratischen Partei werden sich noch daran erinnern, daß ihre Partei einen vergleichbaren Schritt bereits 1984 getan hat, als Walter Mondale, der von 1977 bis 1981 selbst Vizepräsident unter Jimmy Carter war, im Wahlkampf von 1984 Geraldine Ferraro als künftige Vizepräsidentin auserkor. Das hatte allerdings zur Folge, daß Amtsinhaber Ronald Reagan als Gegenkandidat einen erdrutschartigen Sieg in 49 US-Bundesstaaten davontrug und seine zweite Amtszeit antreten konnte. Natürlich ist McCain nicht Ronald Reagan und schon gar nicht Walter Mondale, und 2008 ist nicht 1984. Aber anders als vor 24 Jahren kommt den Frauen heute als Wählerinnen eine Schlüsselposition bei den Wahlen zu. Ob Sarah Palin McCaines Chancen bei der Präsidentschaftswahl verbessert, wird sich zwar erst im November zeigen, wenn die Stimmen ausgezählt sind. Man kann aber schon jetzt feststellen, daß die Festlegung auf Senator Biden Obama so ausgelegt wird, daß er damit auf der sicheren Seite sein und nichts riskieren wollte. McCains Entscheidung für eine Frau als Vize wird diesem hingegen als mutiger Schritt hoch angerechnet.
Seit George Herbert Bush, der Vater des amtierenden US-Präsidenten, 1988 im Wahlkampf den 23 Jahre jüngeren Senator Dan Quayle zu seinem Vize bestimmte, hat es allerdings keinen so großen Altersunterschied mehr gegeben wie jetzt zwischen dem 72jährigen McCain und der 44jährigen Palin. Das muß nicht unbedingt negativ sein, aber es ist eine Tatsache, daß John McCains hohes Alter und seine angeschlagene Gesundheit gegenüber dem agilen Obama im Wahlkampf immer als Problem gesehen wird. Würde das Team McCain-Palin im November das Rennen vor dem Team Obama-Biden machen, dann könnte irgendwann in näherer oder fernerer Zukunft der interessante Fall eintreten, daß Sarah Palin vom zweiten Platz im Staate zur ersten Präsidentin in der US-Geschichte aufsteigen würde.
Übersetzung: Jürgen Heiser